045 - Das verschwundene Volk
Morgengrauen bis Sonnenuntergang im Gebrauch der Waffen unterrichtet hatte. An manchen Tagen waren sie vor Erschöpfung zusammengebrochen, aber es hatte sich gelohnt. Heute waren sie die besten Krieger des Stamms.
Jekulah drehte den Kopf und sah ihn an.
»Aber du bist doch nicht zu mir gekommen, um über meine Familie zu reden. Du machst dir Sorgen um Makeje, nicht wahr?«
»Das stimmt.« Delketh trank einen Schluck Kaktussaft und lehnte sich gegen die kühle Lehmwand. »Seit der Versammlung frage ich mich, ob es nicht vielleicht ein Fehler war, ihn so kurz nach dem Tod seines Vaters zum Sipapu-Tleku zu ernennen. Vielleicht ist er noch zu jung, um diese Verantwortung zu tragen.«
Er beobachtete, wie Ketkume seinem Vater etwas Wasser einflößte und dann respektvoll an seinen Platz zurückkehrte. Jekulah fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Makeje ist jung«, sagte er dann, »aber sein Vater hat ihn ein Leben lang auf seine Pflicht als Sipapu-Tleku vorbereitet. Du hättest keinen anderen Mann ernennen können, also hast du richtig gehandelt.«
Er schwieg, aber Delketh spürte, dass er noch einen anderen Gedanken .mitteilen wollte.
»Du denkst an die Fremde?«, fragte er.
Jekulah nickte. »Ich lebe bereits länger als jeder andere in diesem Stamm, aber ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einem Yiet'zu begegnet zu sein. Selbst mein Vater und dessen Vater haben keinen gesehen. Die Geschichten, die man über sie erzählt, sind so alt, dass vieles verloren gegangen sein könnte. Verstehst du?«
»Ja. Wir wissen nicht, welche Macht die Fremde wirklich besitzt und ob sie nicht doch ein Yiet'zu ist. Makeje ist sehr leichtsinnig.«
»Die Liebe lässt junge Männer leichtsinnig werden«, sagte Jekulah. »Deshalb sind es die alten Männer, die über die Geschicke des Stammes befehlen. Du wirst bald eine Entscheidung fällen müssen, auch wenn du dich damit gegen Makeje stellst.«
Delketh stand auf. Jekulah hatte ausgesprochen, was er längst befürchtete.
Makeje beschützte die Fremde, weil er sich in sie verliebt hatte. Dass er damit gegen das Eheversprechen verstieß, das zwischen ihm und Eri bestand, schien ihn nicht zu stören.
Trotzdem schreckte Delketh vor einer Entscheidung zurück, hoffte stattdessen, dass Makeje von selbst wieder zu Verstand kam.
»Ich denke über deine Worte nach«, sagte er steif und ging zur Leiter. »Wenn die Zeit reif ist, werde ich eine Entscheidung treffen.«
Jekulah sah ihn missbilligend an. »Warte nicht zu lange, sonst werden andere für dich entscheiden.«
Delketh wandte sich ab.
***
Aruula blieb schweratmend auf dem Plateau stehen. Auch wenn ihr die Luft dünn erschien, fehlte die Klarheit, die sie aus den Bergen kannte. Jeder Atemzug schmeckte nach Metall und schmerzte in den Lungen.
Was ist das nur für ein Ort?, dachte sie. Das Felsplateau erstreckte sich zu beiden Seiten und flachte nach vorne sanft ab. In den Stein waren Linien geritzt, deren Bedeutung sie nicht erkennen konnte. Das gesamte Plateau schien davon bedeckt zu sein.
Aruula drehte den Kopf und entdeckte übergroße Holzbahren, die in einiger Entfernung auf hohen Stelzen standen.
Darauf lagen menschliche, in Tücher eingewickelte Körper, die mit Federn und Geweihen geschmückt waren. Bunte Stofffahnen umwehten sie, vermutlich um Aasfresser abzuschrecken. Aruula hatte von Stämmen gehört, die solche Hochgräber bauten, damit die Toten leichter zu den Göttern im Himmel gelangten.
Sie ließ den Blick über die Welt hinter dem Plateau gleiten, über die Wüste, die in der Hitze flimmerte, und die Felsen, die wie ausgestreckte Hände in einen diesig blauen Himmel ragten.
Ein leichter Wind kam von Westen auf, brachte mehr Gestank mit sich urid ein rhythmisch stampfendes Geräusch, das wie der Herzschlag eines riesigen Tieres klang.
Aruula kniff die Augen zusammen und starrte konzentriert in die Ferne. Dort, am Rande des Horizonts zeichnete sich etwas ab, das wie eine Glaskuppel aussah. Sie glaubte Gebäude darin zu erkennen, aber vielleicht war das auch nur ein Trugbild der flimmernden Luft.
»Es heißt«, sagte Makejes Stimme neben ihr, »die Luft sei früher so klar gewesen, dass man die Farbe einer Adlerfeder auf fünfhundert Schritt erkennen konnte. So weit kann man selbst in der vierten Welt nicht blicken.«
Aruula streckte den Arm aus und zeigte auf die ferne Kuppel. »Was ist das?«
Makeje hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Niemand ist je so weit gegangen.«
»Warum
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