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045 - Das verschwundene Volk

045 - Das verschwundene Volk

Titel: 045 - Das verschwundene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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das Wurfbeil, mit dem er geübt hatte, zur Seite und nickte.
    »Dann sollten wir ihn nicht warten lassen.«
    Sie machten sich nicht die Mühe, die Leitern zu benützen, sondern sprangen von einem Dach zum nächsten, lieferten sich ein unabgesprochenes Wettrennen, das neben der Luke, die zur Höhle ihres Großvaters führte, mit einem Unentschieden endete.
    Chopaje landete geschmeidig, wenn auch ein wenig atemlos auf dem Boden der Höhle und ging neben Jekulah in die Knie. Tlehoke folgte ihm. Ebenso wie sein Bruder verehrte er ihren Großvater, der aus ihnen die besten Krieger des Dorfs, gemacht hatte. Seinen Onkel Ketkume, der wie fast immer in einer Ecke saß und Maisbrei schlürfte, ignorierte er.
    »Geht es dir gut, Großvater?«, fragte er höflich.
    Jekulah lachte. »Mir geht es seit über sechzig Sommern nicht mehr gut, aber ich danke dir trotzdem für deine Sorge.« Er hob den Kopf und sah zuerst Chopaje, dann Tlehoke an. »Ihr habt gehört, was heute Morgen geschehen ist?«
    Tlehoke nickte. »Ja, Großvater. Wir waren auf der Jagd, aber Mutter hat uns alles erzählt. Makeje hat eine Fremde zur Frau genommen und…«
    »Keine Fremde«, unterbrach ihn Jekulah.
    »Ein Yiet'zu hat er zur Frau genommen, ein Ungeheuer aus der vierten Welt. Schon jetzt bringt es Streit und Uneinigkeit über das Dorf. Wer weiß, was geschehen wird, wenn es noch länger bleibt.«
    Tlehoke erinnerte sich an das seltsame Gefährt, mit dem die Fremde auf das Plateau geflogen war. Er hatte Glück gehabt, dass sein Speer sie gestoppt hatte.
    »Sie beherrscht einen großen Zauber«, sagte er.
    »Davon habe ich dem Ältestenrat berichtet. Wir waren uns alle einig, dass man das Yiet'zu verbannen sollte. Sogar Delketh hat zugestimmt.«
    Chopaje neigte fragend den Kopf. »Aber das geht jetzt nicht mehr, oder? Sie gehört jetzt doch zu uns?«
    »Natürlich tut sie das nicht!«, schrie Jekulah.
    »Sie könnte tausend Männer nehmen und wäre immer noch ein Yiet'zu! Aber Delketh hat nicht den Mut zu handeln. Er versteckt sich hinter dem Gesetz. Selbst seine Tochter hat er nicht bestraft, obwohl er sie hätte auspeitschen lassen sollen. Er hat das Herz eines Froschs!«
    Tlehoke erinnerte ihn nicht daran, dass seit vielen Sommern keine Frau mehr ausgepeitscht worden war, weil sie ihrem Vater oder Mann nicht gehorchte. Sein Großvater war in diesen Dingen etwas altmodisch.
    »Aber was soll Delketh auch tun?«, fragte Chopaje. Im Gegensatz zu seinem Bruder wagte er es häufig, Jekulah zu widersprechen. »Soll er sich über das Gesetz stellen?«
    Ihr Großvater spitzte die Lippen und pfiff. Ketkume stand sofort auf, nahm einen Krug mit Kaktussaft und kniete sich neben ihn.
    »Verschwinde«, sagte Jekulah kalt. »Meine Enkel werden mich bis zum Abend versorgen. Komm erst wieder, wenn du sie gehen siehst.«
    Ketkumes Mund bewegte sich, seine eingefallenen Lippen begannen zu zittern.
    Tlehoke bemerkte voller Verachtung, dass die Augen seines Onkels feucht schimmerten, als er den Krug abstellte und unsicher zur Leiter ging. Langsam stieg er sie empor.
    »Ist er weg?«, fragte Jekulah nach einem Moment.
    Tlehoke sprang auf und sah durch die Luke in den klaren blauen Himmel. »Ja, Großvater.«
    »Gut. Dein Bruder hat eine kluge Frage gestellt. Kann sich der Häuptling über das Gesetz stellen? Die Antwort lautet natürlich nein, denn so würde er das Vertrauen des Stammes verlieren. Aber ein anderer kann es tun, jemand, der keine Verantwortung trägt, der schnell genug ist, um nicht gesehen zu werden und ehrenvoll genug, zu schweigen, sollte er doch entdeckt werden.«
    Darauf läuft es also hinaus, dachte Tlehoke.
    Laut sagte er: »Du willst, dass wir die Fremde töten.«
    »So ist es«, sagte Jekulah. »Werdet ihr einem alten Mann diesen Wunsch erfüllen?«
    Tlehoke und Chopaje sahen sich an. Sie kannten beide die Antwort auf diese Frage, noch bevor sie den Mund öffneten und sie gaben. »Ja, Großvater.«
    ***
    Die Sonne stand bereits dicht über den Felsen, als Makeje erwachte. Mit einem Fluch sprang er von seinem Lager auf, tauchte seine Hände in eine Wasserschale und sprach die reinigenden Worte schneller als je zuvor. Er nahm an, dass Eri pünktlich nach Sonnenuntergang unter dem Plateau erscheinen würde und wollte sie nicht warten lassen. Er hatte sie zu tief verletzt, um sie jetzt auch noch zu beleidigen.
    Erst als Makeje das Antilopenfell um seine Schultern legte und die Adlerfedern ins Haar steckte, zwang er sich zur Ruhe. Die Geister mochten es

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