045 - Schizophrenia - Nächte des Wahnsinns
ein gütiger,
verständnisvoller Vater. In dem Moment, als er abhob, erklang schon das
Computer-Signal, so daß er sich gar nicht mehr meldete.
»Letztsignal
X-RAY-9«, meldete sich eine mechanische Stimme, ausgelöst von den rund um die
Uhr kontrollierenden und arbeitenden Hauptcomputern, die auch mit der
Funkzentrale in Verbindung standen und die so programmiert waren, daß sie
außergewöhnliche Vorfälle sofort an den Mann weitergaben, der die
Entscheidungen treffen mußte. David Gallun alias X-RAY-1 atmete tief durch, und
ein schmerzhafter Zug zeigte sich um seine Lippen. Der Chef der PSA zögerte
keine Sekunde, aktiv zu werden, obwohl es in New York erst vier Uhr morgens
war. Für einen Angehörigen der PSA war das bedeutungslos. X-RAY-1 nannte ein
Codewort. Das löste einen weiteren Mechanismus aus. Die Berechnungen liefen auf
Hochtouren, und der Ausgangspunkt des Signals auf plus/minus hundert Meter
wurde genau festgelegt. Während alle diese Aktivitäten in vollem Gang waren,
stand X-RAY-1 auf, drückte auf den Knopf der Sprechanlage und weckte seinen
Diener. »Bony«, sagte er nur. »Es gibt Arbeit...«
»In
drei Minuten, Sir, bin ich zur Stelle«, erklang eine jugendlich frische Stimme
aus dem Lautsprecher. Bony hatte in der geräumigen Wohnung des blinden
PSA-Leiters seine Unterkunft und war jederzeit für diesen Mann da, der sein
Leben in den Dienst einer besonderen Sache gestellt hatte.
Wenige
Minuten später glitt ein weißer Ford Mustang durch den Frühnebel der riesigen,
um diese Zeit menschenleeren Stadt. Am Lenkrad saß ein dunkelhaariger,
auffallend hagerer Bursche, neben ihm ein Mann mit dichtem weißem Haar und
dunkler Blindenbrille. Das Ziel der beiden Frühaufsteher war der Central Park
und dort das Tavern on the Green, jenes große, exklusive Tanz- und
Speiserestaurant, unter dessen Kellerräume eine andere Welt begann. Die Welt
der Geheim-Organisation PSA...
●
In
Mitteleuropa war es zehn Uhr morgens. Rund achttausend Kilometer von der
PSA-Zentrale entfernt entfaltete ein anderer Mann lebhafte Aktivitäten. Dr.
Giuseppe Falco, der Nervenarzt...
Er
war während der Visite durch das Haus ans Telefon gerufen worden. Ein
praktischer Arzt aus Mailand kündete eine Patientin an, die am Morgen
durchgedreht hatte und wirres Zeug redete. »... das Mädchen heißt Gina, ist
neunzehn Jahre alt und behauptet, daß heute Nacht im Wald bei Mombello ein Mord
passiert sei. Ihr Freund, Antonio, sei von einem Wahnsinnigen verfolgt und
enthauptet worden. Die Polizei soll den entsprungenen Irren erschossen oder
angeschossen haben... ist dir da etwas bekannt, Giuseppe?«
»Das
ist das erste, was ich höre. Ist ja eine tolle Geschichte... Hast du die
Patientin untersucht?«
»Ja.
Ich kann da nicht viel machen. Sie wird innerhalb der nächsten Viertelstunde
mit einem Krankenwagen bei dir eingeliefert.«
»Ich
werde mich um sie kümmern...«
Mit
nachdenklicher Miene legte Giuseppe Falco auf. Er atmete tief durch. Das kleine
Büro, in dem er sich aufhielt, war vollgestopft mit Aktenordnern. An den Wänden
hingen Bilder und vergilbte Fotos aus der Gründerzeit der Anstalt. Ärzte und
das altmodisch gekleidete Pflegepersonal waren darauf zu sehen. Zwei
großformatige Bilder von Giuseppe Falcos Großvater und seinem Vater hingen
ebenfalls dort. Auszeichnungen und Urkunden fehlten ebenfalls nicht. Die erste
stammte aus dem Jahre 1886, dem Gründungsjahr der Nervenheilanstalt. Giuseppe
Falco ging um den alten, wurmstichigen Schreibtisch herum, verschränkte die
Arme auf dem Rücken und stellte sich vor den Fotos seines Großvaters und seines
Vaters auf. Der Großvater – ein großer, stattlicher Mann, der mit kühlen,
sezierenden Augen in die Welt blickte. Er trug einen Vollbart und wirkte um
einiges älter, als er zum Zeitpunkt der Aufnahme gewesen war. Giuseppe Falcos
Vater hatte die Statur seines Vaters geerbt. Stolz und in die Kamera lachend
stand er vor dem Betrachter. Der mächtige Lippenbart verlieh ihm eine herbe,
strenge Männlichkeit, die man ihm stets nachsagte. Falcos Finger bewegten sich.
Die Wangenmuskeln des Mannes zuckten.
»Ihr
habt viel geleistet«, murmelte er dann im Selbstgespräch vor sich hin. »Die
Anstalt in Mombello ist alt. Uns fehlt das Geld, sie zu modernisieren, aber die
Menschen, die hier untergebracht sind, merken es nicht... ich habe euren Beruf
ergriffen, weil er einfach in der Familie lag...« Er atmete tief durch. »Ich
kann nicht länger schweigen, ich muß tätig
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