045 - Schizophrenia - Nächte des Wahnsinns
werden... Schwester Marina wurde
getötet... ich habe mich bemüht, ihre Leiche zu finden. Paolo Rasolini muß
etwas wissen, doch er schweigt verbissen... er hat sie getötet. Aber wie hat er
es geschafft, die Leiche verschwinden zu lassen? Er kann doch nicht hexen...«
Dann
gab sich Falco einen Ruck. Der große Mann mit dunklen Augen, von denen man
meinte, daß sie bis auf den Grund der Seele sehen konnten, wirkte blaß und
nervös. Er wußte, welche Kreise es ziehen würde, wenn er die Polizei
verständigte. In dem Moment, als er die Hand auf den Hörer legte, um die
entsprechende Nummer zu wählen, schlug das Telefon an. Er nahm sofort ab und
meldete sich.
»Kriminalpolizei,
Kommissar Tandelli«, meldete sich eine kräftige Stimme.
»Es
gibt seltene Zufälle im Leben, Kommissar. Wahrscheinlich werden Sie es nicht
glauben: aber ich hatte in diesen Minuten vor, die Polizei anzurufen. Ich
hoffe, wir haben beide denselben Grund – dann erübrigt sich eine lange
Erklärung. Wo drückt der Schuh, Kommissar? Ich nehme an, Sie haben nicht nur
zum Apparat gegriffen, um mir einen schönen guten Morgen zu wünschen.«
»Gewiß
nicht, Doktor. Allerdings wünsche ich Ihnen diesen. Ich bin in diesen Minuten
übrigens ganz in Ihrer Nähe. Vielleicht ’ne halbe Stunde von der Anstalt
entfernt. Einer unserer Streifenwagen hat heute morgen auf einem Waldweg bei
Mombello einen verlassenen Fiat entdeckt. Unsere Nachforschungen haben ergeben,
daß ein gewisser Antonio Fabrici Eigentümer des Fahrzeuges ist. Wegen dem
jungen Mann, der heute morgen nicht auf seiner Arbeitsstelle erschien, liegt
uns eine Vermißtenanzeige vor. Wir haben daraufhin auch versucht, bei seiner
Freundin, einem Mädchen namens Gina Muddi etwas über den Verbleib Fabricis zu
erfahren. Dort bekamen wir von der Mutter Ginas eine seltsame, reichlich
verworrene Geschichte zu hören. Das Mädchen scheint nicht ganz richtig im Kopf
zu sein. Sie hatte in den Morgenstunden einen Tobsuchtsanfall und die Familie
mußte einen Arzt zu Rate ziehen. Der hat ihr wohl eine Beruhigungsspritze
verabreicht und darauf bestanden, daß Sie zu Ihnen in die Anstalt zur näheren
Untersuchung gebracht wird.«
Falco
bestätigte, daß die Patientin ihm vor wenigen Minuten angekündigt worden sei.
Tandelli wollte wissen, ob Giuseppe Falco etwas zu dem sagen könne, was Gina
Muddi in ihrer Wut alles herausgebrüllt hatte.
»Ohne
sie gesehen zu haben, kann ich natürlich schlecht etwas über ihren wirklichen
Zustand sagen, Kommissar. Das bitte ich Sie zu verstehen. Doch aufgrund der
geschilderten Umstände bin ich geneigt anzunehmen, daß Gina Muddi unter
heftigen Wahnvorstellungen leidet. Vielleicht hat sie aber auch wirklich in der
vergangenen Nacht im Zusammenhang mit ihrem Freund etwas erlebt, was sie so
schockte, daß sie völlig durcheinander ist und keinen klaren Gedanken mehr
fassen kann.«
»Merkwürdig
ist nur, daß sie auch behautet haben soll, Sie in der Nähe des Fiat gesehen zu
haben.«
»Ich
weiß nichts von dem Auto, Kommissar.«
»Das
habe ich mir gedacht. Gina Muddi hätte auch herausgeschrieen, daß sie von
Carabinieri in Empfang genommen worden sei, nachdem sie aus dem Fahrzeug
taumelte... Ein Polizeieinsatz hat in der vergangenen Nacht nicht
stattgefunden.«
»Da
können Sie sehen, wie sehr sich das Mädchen in eine Phantasie- und Wahnwelt
verstrickt hat.«
»Allerdings
ist da noch etwas, Doktor, das mir Kopfzerbrechen bereitet.«
»Was
ist es, Kommissar?«
»Gina
Muddi hat noch mehr von sich gegeben, wie ihre Eltern übereinstimmend berichtet
haben. Sie floh aus dem nächtlichen Wald und hat einen Autofahrer angehalten,
einen Spanier, der sie nach Hause brachte. Der Mann fuhr einen grünen Ford, der
in Barcelona zugelassen ist.«
»Sie
werden den Spanier doch nicht suchen wollen, Kommissar? Er wird genau so eine
Fiktion sein, wie meine Person und die der Polizisten, die Gina Muddi in der
vergangenen Nacht im Wald bei Mombello gesehen haben will...«
»Ich
würde bestimmt genau so denken wie Sie, Doktor, wenn da eine Kleinigkeit nicht
wäre. Gina Muddi scheint phantasiert zu haben, in mancher Beziehung. Aber nicht
in allem, Doktor. Und nun ist es unsere Aufgabe herauszufinden, was Wahn und
was Wirklichkeit ist. Fest steht bisher eindeutig folgendes: Gina Muddi hielt
sich mit ihrem Freund im Fiat auf. Antonio Fabrici machte sich dann auf dem
Weg, um Benzin zu beschaffen. Auch das scheint zu stimmen. Wir haben inzwischen
den Ersatzkanister im Wald gefunden.
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