0450 - Sukos Totenfeier
schreien, schluchzen, beten und zittern. Dies alles eingekerkert in dieser verfluchten überdimensionalen Trommel. Man hatte ihr die Marter versprochen gehabt, und man hatte dieses Versprechen gehalten.
Shao durchlitt alle Höllen, je mehr Zeit verging, um so intensiver nahm sie die Schläge wahr, wobei ihr jeder einzelne Schmerzen verursachte.
Sie hatte irgendwann einmal den Eindruck, keinen Körper mehr zu besitzen, nur mehr aus dröhnenden Schlägen und Schmerzen zu bestehen, die sie peinigten.
Shao wälzte sich, riss sich Haare aus, spürte es nicht einmal, und sie glaubte vor lauter Schmerzen nicht mehr, dass sie noch ein Mensch war.
Shao lag auf dem Rücken und trat verzweifelt gegen die Bespannung.
Ein Material, das diese wuchtigen Schläge aushielt, konnte jedoch nicht von einem Fußtritt zerstört werden.
Irgendwann war es zu Ende…
Aber das Grauen blieb. Shao, die sich zuckend wälzte, erlebte die fürchterlichsten Bilder und Alpträume.
Visionen des Schreckens entstanden aus dem Nichts und griffen sie regelrecht an.
Es waren Monstren!
Fürchterlich, farbig und schillernd. Mäuler groß wie Tore. Fliegende Echsen, Menschen ohne Köpfe, Leichen mit Satansschädeln, Schlangen mit Hundegesichtern und Götzen furchtbarer Mythologien.
Sie alle rasten gegen Shao an. Von vier Seiten schössen sie herbei, umhüllt von Rauch und Qualm. Manchmal von roten Feuerstreifen begleitet, als wollten sie Shao verbrennen.
Waren es Visionen oder Tatsachen?
Mit matt wirkenden Bewegungen hob die Chinesin den rechten Arm und hielt die Hand so vor ihr Gesicht, dass sie nach dem Monstrum greifen konnte, aber hindurchfaßte, denn die rotgelbe Feuerfratze zerplatzte im gleichen Augenblick.
Plötzlich hörte Shao die Stimme. Den Sprecher sah sie nicht, wahrscheinlich war er auch so weit von ihr entfernt, dass es keine Maßeinheiten gab, um dies festzustellen.
Irgendwo in einer fremden Dimension…
Die Worte durchkreisten Raum und Zeit und waren auf ihr Unterbewusstsein gezielt.
»Hörst du mich, Shao?«
»Ja.«
»Weißt du, wer ich bin?«
»Nein.« Auch diese Erwiderung hatte Shao gedanklich formuliert, und sie vernahm das etwas höhnische Lachen.
»Ich hatte dich für schlauer gehalten, wo du doch die letzte in der Stammreihe meiner verhassten Schwester Amaterasu bist…«
»Susanoo!«
»Ja!« dröhnte es zurück. »Jetzt hast du endlich begriffen. Ich bin Susanoo. Das mußt du doch gewusst haben, denn meine Diener nahmen dich gefangen. Sie haben sich endlich auf mich besonnen. Durch ihre Trommeln wollen sie mich aus dem Dunklen Reich locken, damit ich die verfluchte Sonnengöttin verbannen kann. Aber noch gibt es ein Hindernis. Dich, Shao. Du besitzt eine fremde Seele, die mir nicht gefällt. Ein Stück Amaterasu, eine Erinnerung, die ich überhaupt nicht mag. Sie muss ausgelöscht werden, es gibt keinen anderen Weg für mich aus der Tiefe der Dunkelheit. Und diesmal hat deine Stunde geschlagen. Ich liege auf der Lauer, Shao, ich warte darauf, dass du dein Leben aushauchst…«
Shao wunderte sich, wie klar sie in den letzten Sekunden gewesen war, als der andere die Worte gesprochen hatte. Es war ihr so vorgekommen, als hätte jemand einen Vorhang vor ihrem Gesicht zur Seite gezogen und dabei eine Szene geklärt.
Sie rief den Namen!
Doch ihr gedanklicher Schrei verhallte irgendwo in der Unendlichkeit.
Noch immer dröhnte es in ihren Ohren. Die Nachwirkungen dieser mörderischen Trommelei hielten sie auch weiterhin fest in den Klauen.
Shao fühlte sich mehr tot als lebendig, und die Luft in der Trommel konnte von ihr kaum noch geatmet werden.
Auch den helleren Kreis der Bespannung nahm sie nicht mehr richtig wahr. Er drehte sich, wanderte, kehrte zurück und kreiste abermals.
Schatten liefen auf sie zu.
Sie stiegen aus der Tiefe, waren schwarz wie das Gefieder eines Raben und auch gefährlich. Zu großen, wolkenartigen Gebilden drängten sie sich zusammen, die immer dichter wurden und sich wie ein gewaltiger Block über Shao ausbreiteten.
Niemand sah, wie sie mit letzter Kraft beide Arme anhob, als wollte sie die Schatten dadurch aufhalten. Ihre Finger bewegten sich sehr langsam, aber Schatten sind nichts Festes, und so griff Shao ins Leere.
Sie bekam keinen Sauerstoff mehr. Die Chinesin wusste, dass sie am Ende ihrer Kraft angelangt war, denn die Schatten waren bereits die Vorboten des Todes.
Ein letztes Mal bäumte sie sich auf.
Ohne dass sie es bewusst wollte, hatte sie den Mund weit aufgerissen,
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