0450 - Sukos Totenfeier
sagen!«
Knallhart hatte Ondekoza den Satz gesprochen, und Suko drehte den Kopf so, dass er uns anschauen konnte.
»Was soll das heißen?«
»Kannst du dir das nicht denken, Chinese. Sie ist…«
»Halt dein verdammtes Maul!« keuchte ich. »Halte es geschlossen, sonst passiert was!« Es lag etwas in meiner Stimme, das ihn stutzig werden ließ, und er schwieg tatsächlich.
Suko hatte sich darum nicht gekümmert. Für ihn zählte einzig und allein Shao. Er strich über ihre Wangen. Zuerst langsam, sehr zärtlich, dann etwas stärker. »Du mußt was sagen, Shao. Bitte, du mußt…« Mein Freund war völlig durcheinander.
Er quälte sich, auch in mir steckte eine ungeheure Qual. Wir erlebten furchtbare Minuten. Suko schob schließlich seine Hände unter ihren Körper und nahm Shao hoch. Er hielt sie schräg, stützte mit einer Handfläche ihren Hinterkopf ab. »Shao?«
Keine Antwort!
Ich sah, wie Sukos Gesichtsmuskeln zuckten. Die Lippen bewegten sich, seine Augen nahmen einen anderen Glanz an. Er atmete keuchend, schüttelte den Kopf, und plötzlich brach es orkanartig aus ihm hervor.
»Shao…!«
Der Schrei war fürchterlich. In diesem einen Wort lag all das Wissen, das Suko in den letzten Sekunden bekommen hatte. In ihm war etwas zerbrochen. Mit einer Hand hielt er Shao fest, den anderen Arm streckte er der Bühnendecke entgegen und ballte die Hand zur Faust. Er weinte nicht, aber seine Gesichtszüge wurden dünn und erinnerten dabei an eine gläserne Maske, die leicht zerbrechen konnte.
In seinem Innern tobte eine Hölle. Der Tod ist immer schlimm, aber wenn man ihn so hautnah und dann noch bei einem Angehörigen miterlebt, ist er grausam.
Ich sah bei ihm keine Tränen, aber seine Augen hatten einen anderen Ausdruck bekommen. Der Schmerz spiegelte sich in ihnen wider. Ein fürchterlich tiefer Schmerz, eine Pein, eine seelische Not, und er schaffte tatsächlich das fast Unmögliche.
Suko hob Shao an!
Dabei stand er ruckartig auf, und er kippte auch nicht, als sie auf seinen Armen lag wie ein kleines Kind. Suko blickte starr nach vorn. In seinem Gesicht las ich nichts mehr. Es erinnerte an die hölzernen Züge Ondekozas, der unbeweglich stand und - ebenso wie ich - auf Sukos Rücken schaute.
Der Inspektor würdigte uns keines Blickes mehr. Er ging…
Der Vergleich mit einem Schlafwandler wäre treffend gewesen. Er lief roboterartig, Shao lag auf seinen Armen, die Arme baumelten nach unten, und die Spitzen Finger schleiften fast über dem Boden.
Wir hörten Sukos Schritte auf der Bühne. Jede Berührung des Bühnenbodens hinterließ ein kleines Echo oder ein dumpfes Geräusch.
Niemand hielt Suko auf. Wahrscheinlich wollte ihn auch niemand aufhalten. Wir ließen ihn gehen und als ich noch einmal seinen Namen rufen wollte, blieben mir die Silben im Halse stecken.
Ich konnte einfach nicht sprechen.
Was Sukos Ziel war, wusste ich nicht. Er würde nach draußen laufen, durch London irren und eine Tote auf den Armen halten. Er glich einer Zeitbombe, deren Lunte brannte. Vielleicht würde er sie in die Wohnung bringen und dort aufbewahren. Möglicherweise ging er auch zu einem seiner Vettern, um ihr ein chinesisches Begräbnis zu ermöglichen. Das alles wusste ich nicht, aber ich war verdammt aufgewühlt, und Ondekoza merkte dies, denn er begann zu lachen, bevor er mir ebenso leise eine Frage stellte.
»Nervös?«
»Ja.«
»Das ist man immer nach einer Niederlage.«
»Ja, ich weiß, ihr habt sie geschafft. Aber bilde dir nicht ein, dass ihr auch gewonnen habt. Abgerechnet wird zum Schluss!«
»Nein, mit dir werden wir gleich abrechnen. Er hätte dich vielleicht noch unterstützen können, aber das ist vorbei. Nichts wird geschehen, Sinclair, du stehst allein, mutterseelenallein gegen uns. Und wir sind zu siebt.«
»Noch habe ich dich vor der Mündung!«
Durch Ondekozas Körper lief ein Zucken. »Glaubst du tatsächlich, dass du gegen uns eine Chance hast?«
»Wahrscheinlich muss ich es darauf ankommen lassen. Und jetzt geh vor!«
»Wohin?«
»Zum Hintergrund der Bühne. Wir werden uns schon einen Weg suchen. Und ich habe dich verdammt nahe an der Mündung. In einem Reflex kann ich noch immer abdrücken, hast du verstanden?«
»Klar.«
»Dann los!«
Ondekoza sagte etwas zu seinen Leuten. Er benutzte die Heimatsprache, ich verstand kein Wort, das ärgerte mich.
»Wenn du Killerbefehle geben willst, rede demnächst so, dass ich es verstehe.«
»Er wird kommen, sie ist tot!« Ondekoza wechselte
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