0453 - Im Bann des Pegasus
der Sicherheit vermitteln. Vom Typ her hatte er auf mich einen verlässlichen Eindruck gemacht, so ging ich davon aus, dass er tatsächlich auf dem Boot wartete und die Küste sowie das Kloster durch sein starkes Nachtglas mit Restlichtverstärker beobachtete.
Jemand sagte mir mal, dass es in Griechenland nie richtig dunkel werden würde.
Das Gefühl hatte ich auch. Obwohl wir Nacht hatten, lag über dem Meer ein seltsamer Glanz. Er stammte von den Gestirnen, die ihren Schein wie eine Decke über die Wogen breiteten, so dass die wogende Fläche ein dunkelblaues Aussehen bekam, das hin und wieder von den Schaumkronen der Wellen unterbrochen wurde.
Sehr weit glitt mein Blick. Ich sah andere Inseln. Zwar keine Umrisse, aber Lichter, die wie ferne Sterne grüßten. Auch auf dem Meer bewegten sie sich. Für viele Menschen war eine Kreuzfahrt durch die nächtliche Ägäis das Erlebnis.
Die Schiffe, die zwischen den Inseln verkehrten und vergnügungssüchtige Touristen an Bord hatten, waren beleuchtet. Oft hingen bunte Lichterketten vom Heck bis zum Bug, und sie bewegten sich wie Wellen, wenn der Wind einmal gegen sie fuhr.
Ich atmete tief durch. Die Luft schmeckte würzig. Kostos hatte seine Hände auf die alte Brüstung gelegt. »Man sollte eine Nacht wie diese genießen«, sagte er.
»Das meine ich auch.«
»James Benson hat hier auch gestanden.« Der Grieche sprach ein gutes Englisch, fast ohne Akzent.
»Und was tat er?«
»Er schaute nur. Er wollte sehen, wie sich das Meer bewegt. Er war an allem interessiert.«
»Ja, das sagte er mir.«
»Wie geht es ihm denn jetzt?« Kostos hatte leiser gesprochen. Ich glaubte auch, ein Lauern im Klang seiner Stimme gehört zu haben und war mit der Antwort sehr vorsichtig.
»Ich kann es Ihnen nicht sagen. Als wir uns zum letzten Mal sprachen, fühlte er sich nicht wohl. Aus diesem Grunde wollte er sich zurückziehen. Er sprach vom Schottischen Hochland.«
»Ja, die Gegend hat er wohl geliebt.«
»Das ist möglich.«
»Sagte er sonst noch etwas?«
»Nein, nichts.«
Kostos lächelte. Ich erkannte es daran, dass sich sein Bartgestrüpp, bewegte. »Das ist allerdings ungewöhnlich, weil er gekommen war, um etwas Bestimmtes zu sehen.«
Ich schaute auf seinen Ring, denn die Hände lagen noch immer auf dem Gestein. »Meinen Sie Pegasus?«
»Ja, das geflügelte Pferd.«
»Glaubte er daran?«
»Sicher. Er wollte es finden. Er war Autor, Schriftsteller. Und er ging davon aus, dass es existieren muss.«
»Was haben Sie ihm geraten?«
»Ich widersprach ihm nicht.« Nach dieser Antwort blieb es zunächst still zwischen uns. Auch ich enthielt mich eines Kommentars.
Wenn Kostos jedoch so etwas sagte, musste er einen Grund haben, und ich ging davon aus, dass Pegasus auch für ihn kein Neuland war.
»Eine Legende, mehr nicht…«
»Wissen Sie das genau, Mr. Sinclair?« Wind fuhr über die Mauerkrone und bewegte die Kutte meines Gesprächspartners. »Wissen Sie das wirklich so genau?«
»Man sagt es.«
»Ja, man sagt viel.«
Ich kam mittlerweile zu der Überzeugung, dass wir um das Problem herumredeten und packte es von der anderen Seite her an.
»Soviel ich weiß, ist Pegasus eine mythische Figur. Das geflügelte Pferd entstand aus einer Verbindung zwischen Poseidon und Medusa, die zu der Zeit noch ein junges Mädchen gewesen sein soll. Aus dieser Verbindung ging das Wunderpferd hervor. So jedenfalls habe ich es gelernt.«
»Da hat man Ihnen auch nichts Falsches berichtet. Poseidon hatte zahlreiche Kinder, und er hat das weiße Pferd Pegasus stets als einen seiner Lieblingssöhne bezeichnet. Es repräsentiert die menschliche Phantasie und Kreativität. Die Flüge des Menschen in unbekannte Weiten. Das ist wunderbar.« Die Stimme meines Nebenmannes hatte einen schwärmerischen Klang angenommen!
»Und wo wird es herkommen?« fragte ich.
»Aus dem Meer«, erwiderte er. »Das Pferd steigt aus den Wellen, denn wer es durch die Lüfte fliegen sieht, hat das Gefühl, als würde es dabei von Wellen getragen. In ihm sind das Wasser und die Luft eine Verbindung eingegangen. Das Horn auf seiner Stirn dokumentiert die Macht, die Kraft und die Stärke.«
Kostos hatte sich in Begeisterung geredet. Sogar seine Augen blitzten dabei. Mir kam es vor, als wäre Pegasus für ihn das Allergrößte auf der Welt.
»Sie sprechen so, als hätten Sie es schon einmal gesehen«, sprach ich ihn an.
Er schaute schräg nach unten, wo weiße Wellenstreifen die Linie des Ufers nachzeichneten.
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