0453 - Im Bann des Pegasus
»Vielleicht habe ich es schon einmal gesehen. Vielleicht stehen ich und meine Freunde mit ihm in Kontakt. Vielleicht verschafft uns der Anblick des Pferdes weitere Informationen. Vielleicht lassen wir uns auf den Flügeln der Phantasie weitertragen, hinein in ferne Reiche und Länder.«
Ich schwieg und ließ mir die Worte durch den Kopf gehen. Dabei dachte ich auch über Kostos nach.
War er tatsächlich ein Mörder? Hatten er und seine Mitbrüder James Benson das Gift verabreicht, das ihn schließlich umbrachte? Ich konnte es nicht so recht glauben, weil mir dieser Mensch eher einen philosophischen Eindruck machte. Er war ein Vertreter des Geistes, vielleicht ein Mystiker, der durch Nachdenken und Forschen Dingen auf die Spur gekommen war, die im Dunkel der Zeiten begraben lagen.
Ich kannte die griechische Inselwelt ein wenig. Denn so manches Mal hatte ich nach Atlantis geforscht und hier eine Spur aufnehmen können.
Das sah jetzt nicht so aus. Pegasus und Atlantis waren zwei verschiedene Paar Schuhe.
Oder nicht? Möglicherweise wusste auch Kostos über den verschwundenen Kontinent Bescheid, und ich sprach ihn darauf an.
Er nickte und sagte: »Du weißt davon?«
»Ich hörte es.«
»Ja, auch Benson war überzeugt, dass es Atlantis gegeben hat. Die Götter haben es ebenfalls gewusst. Und die Götter teilen sich uns mit. Durch ihre Söhne, durch ihre Töchter, Nachkommen und Enkel. Ob diese nun Pegasus heißen oder Perseus. Alles ist in einem gewaltigen Weltkreislauf eingefangen. Du verstehst?«
»Ein wenig!«
»Und das ist schon zuviel.« Er hatte leise gesprochen und war dabei einen Schritt zurückgetreten.
»Wieso?« fragte ich.
»Ja, es ist zuviel. Fremde dürfen davon nichts erfahren und nichts wissen. Du bist ein Fremder.«
»Aber ihr habt mich empfangen.«
Sein Nicken wirkte ernst. »Das gebietet die Gastfreundschaft. Wir halten uns daran.«
»Dafür möchte ich mich auch bedanken. Aber wie geht es weiter?«
»Sieh aufs Meer. Wenn du genau schaust, kannst du die besondere Form der Wellen erkennen.«
»Wie das?«
Er lächelte knapp, vielleicht auch verschlagen. So genau war das nicht festzustellen. Hinter uns lag noch der dunkle Schatten eines aufragenden Klosterturms.
Mit der ringlosen linken Hand holte er aus und deutete über den Mauerrand hinweg. »Das Meer ist tief, das Meer ist geheimnisvoll. Der Gott des Wassers, der Wellen und des Meeres herrscht dort mit gütiger Strenge. Er gebietet über die Dinge, die wir ablehnen. Er ist der Herr der Stürme, er ist der Meister, denn er bestimmt, wann Schiffe versinken oder weiterfahren können.«
»Na und?«
»Nur er kann dafür sorgen, dass diejenigen, die es sehen wollen, es auch zu sehen bekommen.«
»Pegasus?« fragte ich.
»So ist es.«
Ich schaute ihn scharf an. »Das hast du mir doch nicht ohne Grund erzählt?«
»Nein.«
»Dann sag ihn bitte.« Ich blieb auch weiterhin freundlich, obwohl es mir inzwischen schwer fiel.
Er hob seine beiden Arme wie ein Zauberer oder Illusionist kurz vor dem Auftritt. »Diese Nacht ist wie geschaffen für eine große Wieder- oder Rückkehr. Wessen Herz sich öffnet, wer an die Dinge glaubt, der wird ihn auch sehen können. Das Meer sieht leer aus, aber es ist nicht leer. Schau dir den Verlauf der Wellen an. Springen sie nicht? Versucht nicht die eine die andere einzuholen, so dass es aussieht, als wären Pferde unterwegs?«
»Ich kann nichts sehen.« Dabei hütete ich mich, den Körper weit über die Steinbrüstung zu beugen, denn ich wollte dem anderen nicht meine deckungslose Flanke darbieten.
Das Kloster stand nicht direkt am Meer. Es lag vielleicht 700 Meter vom Strand entfernt. Den Platz dazwischen füllte ein mit Pinien bewachsener Hang aus. Die hohen, schlanken Bäume waren einzeln nicht genau zu erkennen. Sie wirkten wie eine schwarze Fläche, durch die nichts dringen konnte.
»Du musst genauer schauen!« hörte ich ihn flüstern. »Achte auf die Wellen mit den hellen Kämmen! Dort ist das Wasser aufgewühlt, obwohl der Wind nicht sehr stark weht. Es ist die Kraft aus der Tiefe, die dafür sorgt. Poseidons Macht, John Sinclair. Hörst du? Allein die Macht des Gottes Poseidon sorgt dafür.«
Wollte er mich leimen? Um das herauszufinden, musste ich mich tatsächlich weiter vorbeugen, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen. Kostos hatte nicht gelogen. An einigen Stellen war das Meer tatsächlich aufgewühlt. Ich sah die schaumigen Wellenkämme, und sie liefen auch schneller als die
Weitere Kostenlose Bücher