0455 - Der Zeit-Zauberer
Kopf. »Ich glaube dir kein Wort, mein Bester. Honig oder Konfitüre zum Zaubern… das gab's nie, gibt's nicht und wird's auch nie geben.«
»Dann eben nicht«, murrte der Gnom. »Keiner gönnt mir was.« Er zeterte leise vor sich hin, und Zamorra konnte sich eines leichten Schmunzelns nicht erwehren. Er erinnerte sich daran, daß der Gnom auch im Frühstückszimmer schon heimlich nach dem Konfitürenglas getastet und daß sein Herr ihm das Glas mit der Degenspitze aus den Fingern geschlagen hat. Sollte dieser schwarze Zwerg von Naschhaftigkeit besessen sein? Den Honig brauchte er wohl kaum zum Zaubern. Das war nur ein Vorwand.
Zamorra entschloß sich, ihm einen oder zwei Honigtöpfe zu schenken, vielleicht auch ein paar Tafeln Schokolade. Das machte niemanden arm, und der Gnom hat für einige Zeit sein Vergnügen.
Aufmerksam verfolgte der Professor die weiteren Vorbereitungen des Schwarzen. Der Gnom kannte sich offenkundig sehr gut aus. Einige Symbole indessen, die er auf den Fußboden und an die Wände zeichnete, begriff Zamorra nicht ganz. Er fragte danach, aber der Gnom winkte unwirsch ab. »Kein Honig, keine Erklärungen«, knurrte er vor sich hin.
Zamorra prägte sich alles recht genau ein; vielleicht konnte man diesen Zauber eines Tages mal verwenden.
Sicher, er selbst hatte andere Möglichkeiten der Zeitreise. Merlins Ringe in Verbindung mit dem Machtspruch des alten Zauberers und Hüters - der Ring mit dem roten Stein versetzte seine Träger und jeden, der Körperkontakt mit ihm hielt, in die Vergangenheit, der blaue Stein in die Zukunft. Letzteres hatte Zamorra vorsichtshalber noch nie erprobt, aber in der Vergangenheit war er schon häufig gewesen, meist in Begleitung seiner alten Freunde und Mitstreiter Möbius und Ullich, ehe diese so sehr in die Leitung des Möbius-Konzerns verstrickt wurden, daß sie keine Zeit mehr für Abenteuer und Dämonenjagden fanden. Es war eine schöne, wilde Zeit gewesen voller Gefahren, aber auch voller Spaß.
Zamorra hätte den Gnom und Don Cristofero mit dem roten Vergangenheitsring in ihre Zeit zurückbringen und allein wieder in die Gegenwart kommen können. Aber darauf wollte er nur im Notfall zurückgreifen. Bei jeder Zeitreise entstand vorübergehend eine Lücke im Raum-Zeitgefüge, weil jemand auf einem ganz bestimmten Weg aus seiner eigenen Zeit verschwand. Erst wenn er auf demselben Weg wieder zurückkehrte, schloß die Lücke sich wieder. Deshalb mußte der Gnom versuchen, mit seiner eigenen Magie zurückzukehren.
Brachte Zamorra die beiden »heim«, dann geschah dies auf einem anderen, neuen Weg, und ein zweiter Bruch in der Weltenstruktur würde entstehen. Beide, die nebeneinander im Zeitstrom verliefen, konnten dann nicht mehr geschlossen werden. Was daraus irgendwann einmal wurde, konnte Zamorra nicht sagen. Er wagte keine Prophezeiungen. Durch diverse Zeitparadoxa, die Zamorra teilweise unterstützt von Merlin in den letzten Jahren hatte durchführen müssen, war die Raum-Zeitstruktur ohnehin schon erheblich erschüttert worden. Jede weitere starke Erschütterung konnte zu verheerenden Folgen führen. Wenn jetzt noch zusätzlich das Gefüge durch überflüssige Zeitreisen durchlöchert wurde, stieg das Risiko ins Unendliche.
Die einzige, die sich im Zeitstrom hatte bewegen können, ohne Spuren zu hinterlassen, war Morgana gewesen, die auch die »Zeitlose« genannt worden war. Das aber lag an ihrer ganz eigenen Magie, dieser Mischung aus kosmischen Urkräften, aus denen sie bestand.
Warum dies alles so war, verstand Zamorra nicht bis in die letzte Konsequenz. Er hatte einmal mit Merlin darüber geredet, aber selbst der weise Alte hatte ihm nicht alles klarmachen können. Vielleicht wollte Zamorra es auch gar nicht so genau wissen, vielleicht weigerte sich sein Verstand unterbewußt, es zu begreifen. Ihm reichte es, über die Wirkungen zu wissen. Wie die Ursachen entstanden, war unerheblich - man mußte nur wissen, wie man sie vermeiden konnte.
Deshalb hatte er bislang das Angebot noch nicht gemacht, Merlins Zeitring zu benutzen.
Um so aufmerksamer verfolgte er die Vorbereitungen des Gnoms, der die beiden durch die Trennwand voneinander geteilten Raumhälften nacheinander sorgfältig präparierte. Schließlich aber verschränkte der Gnom die Arme, sah zu Zamorra empor und sagte: »Verzeiht, aber nun muß ich Euch fortschicken. Den letzten Teil meiner Vorbereitungen kann ich nur durchführen, wenn ich ganz allein bin.«
Zamorra
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