0458 - Der Zombie-Zug
nicht mehr zugänglich war.
Minuten verrannen. Sinclair fühlte sich unwohl. Es wurde noch kühler. Die Kälte machte auch nicht vor diesem alten Wartesaal halt.
Sie kroch durch alle Ritzen und machte den wartenden Personen zu schaffen.
Plötzlich stand Madge Claim auf. Das geschah ruckartig, als hätte ihr jemand einen Befehl gegeben. Sie blieb für einen Moment vor der Bank stehen und wirkte so, als würde sie auf irgendein Geräusch lauschen, das in weiter Ferne zu hören war.
Dann drehte sie sich nach links, um die Halle zu verlassen. Sie mußte, wenn sie zur Tür ging, auch die am Boden liegende Gestalt passieren. Sinclair hoffte, daß sie ihren Mann nicht erkannte.
Die Hoffnung trog.
Auf einmal blieb die Frau stehen, als würde sie noch über irgend etwas nachdenken. Sehr langsam drehte sie sich nach links und schaute auf die weiße Gestalt.
»Das… das ist er!« flüsterte sie. »Himmel, das ist er. Das ist Gilbert, mein Mann.«
»Ja, er ist tot!«
»Nein!« schrie die Frau dagegen, bückte sich erst und warf sich schließlich über die in Weiß gekleidete Gestalt. Sie umfaßte mit beiden Händen die Wangen, hob den Kopf an, bettete ihn in ihren Schoß und flüsterte mit rauher Stimme: »Du bist hier. Du bist wieder bei mir, endlich. Jetzt brauchst du nicht mehr zu frieren. Ich habe dir deine Kleidung mitgebracht. Komm mit mir, damit ich dir beim Ankleiden helfen kann. Ich bitte dich inständig, komm mit…«
»Es hat keinen Sinn.« Sinclair war neben Madge getreten und hatte sie angesprochen.
»Halten Sie sich da raus!« schrie sie plötzlich. »Sie haben keine Ahnung. Gehen Sie!«
Sinclair nickte. »Ja«, erwiderte er leise, »ich werde gehen. Falls Sie noch etwas von mir wollen, Mrs. Claim, Sie finden mich auf dem Bahnsteig.«
Die Frau reagierte nicht, als der ehemalige Anwalt den alten Saal verließ und auf dem Bahnsteig dicht vor den Gleisen stehenblieb.
Horace F. Sinclair wußte nicht, was er noch sagen sollte. Mit Worten war die Frau nicht zu überzeugen, durch Taten bestimmt auch nicht.
Sie lebte in einer völlig anderen Welt.
Da sich auch der ehemalige Anwalt nicht bewegte, fiel die Stille besonders auf. Hinzu kam die Dunkelheit, der matte Dunst, der ebenfalls heranwehte, so daß der Bahnhof in der Tat etwas Geisterhaftes bekommen hatte.
Trübe Gedanken durchwehten den Kopf des Mannes. Er dachte auch an seinen Sohn, der den Geisterzug bestiegen hatte.
Würde er ihn je wiedersehen?
***
Hinter Konstabler James Field lagen die schrecklichsten und grausamsten Minuten seines Lebens. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so etwas Fürchterliches erlebt zu haben, aber, und das stellte er auch fest, als er einigermaßen klar sah, man hatte ihn nicht getötet und am Leben gelassen.
Unter seinem Rücken spürte er den harten Boden des Zugabteils.
Wenn er den Blick gegen die Decke richtete, sah er sie als einen hellen Flecken. Sogar der Schein einer schwach leuchtenden Laterne zuckte geisterhaft durch den Wagen, erfaßte auch sein Gesicht und wischte über die Reihen der Sitzbänke.
Man konnte die Fahrt nicht mit den modernen Zügen vergleichen.
Wenn die Waggons über unebene Stellen auf den Gleisen ratterten, bekam der Reisende jeden Stoß mit.
Wohin ging die Fahrt?
Darüber dachte der Konstabler nach, und ihm fielen auch Madge Claims Worte ein.
Hatte sie nicht vom Jenseits gesprochen?
Der Mann erschrak zutiefst. Das Jenseits – was war das überhaupt? War es eine Welt für sich, eine andere Dimension.
Herrschten dort in etwa die gleichen Gesetze wie auf der Erde?
Wirre Vermutungen rasten durch seinen Kopf. Es war für ihn unmöglich, ein Ergebnis zu bekommen. Die ratternde Fahrt des Zuges lenkte ihn einfach zu sehr ab.
Irgendwann war er es leid, auf dem Boden liegen zu bleiben, deshalb stützte er sich auf und drängte sich nach rechts, wo in der Nähe eine Sitzbank stand.
Es war nicht die einzige, über die der Schein der Sturmlaterne zuckte. Die Bänke, aus Holz gefertigt und ohne dämpfende Polster, standen sich an den Seiten gegenüber. Zwischen ihnen befand sich ein schmaler Gang für die Reisenden.
Der Konstabler hatte überlegt, den Waggon zu verlassen und vom Perron aus abzuspringen. Das wäre die einzige Möglichkeit gewesen. Zuvor jedoch rutschte er nahe an das Fenster heran und säuberte mit einem Taschentuch einen Teil der Scheibe: Jetzt konnte er besser nach draußen schauen, nur mußte er seinen Atem noch unter Kontrolle bekommen, weil ein Teil der Scheibe
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