046 - Penelope von der 'Polyantha'
Wasser.
Penelopes Augen folgten der Richtung seines Fingers, und sie sah am Horizont einen kleinen Flecken.
»Hiermit können Sie besser sehen.«
Er reichte ihr das Fernglas. Sie stellte es ein, es dauerte aber einige Zeit, bis sie das lange schwarze Schiff mit den hohen Aufbauten erkannte. Es schien stillzustehen.
»Die hübsche ›Polyantha‹«, murmelte Mr. Stamford Mills.
Dann schlug er sich auf den Mund, als ob er eine ungeheure Indiskretion begangen habe.
»Ich habe dieses Schiff schon gestern gesehen«, sagte sie ruhig, während sie ihm das Glas zurückgab, »es ist eine Jacht.«
Er dachte einige Zeit nach, bevor er antwortete.
»Ja, Sie haben recht, es ist eine Jacht. Sie gehört einem guten Freund von mir, dem Herzog von Augille. Ich habe schon verschiedene Reisen auf ihr gemacht - es ist ein schönes Schiff.«
Er setzte seinen Hut auf, wandte sich plötzlich um und ging über die Wiesen. Sie hatte fast den Eindruck, daß dieser Mann nicht ganz richtig im Kopf war.
Beim Tee sagte sie noch nichts von ihrer Begegnung, aber später quälte sie ihr Gewissen, und sie erzählte doch von ihrem Erlebnis.
»Stamford Mills?« fragte Mr. Dorban heftig. »Was macht denn der hier? Hat er Sie irgend etwas gefragt?« »Ja, er wollte allerhand von mir wissen.«
»Du sagtest doch, Mills sei in London«, wandte sich Arthur streng an seine Frau.
»Ich habe auch bestimmt gehört, daß er dort sei.«
»Was macht er denn hier? Hat er von irgend jemandem gesprochen?«
»Er fragte mich, ob Mr. Whiplow noch hier sei.«
Arthur wechselte einen kurzen Blick mit Cynthia.
»Sie haben ihm natürlich gesagt, daß kein Whiplow hier war?«
»Er schien überzeugt zu sein, daß Sie gestern Besuch hatten«, entgegnete Penelope.
Mr. Dorban quälte sie noch mit vielen Fragen. Aber je eindringlicher er wurde, desto weniger war sie geneigt, ihm Genaueres über ihre Unterhaltung mit dem Fremden zu erzählen.
Die ›Polyantha‹ erwähnte sie überhaupt nicht, denn es erschien ihr vollkommen nebensächlich und zufällig, daß sie diese Jacht gesehen hatte.
»Gehen Sie bitte hinauf und räumen Sie den Koffer oben im Abstellraum aus«, sagte Cynthia am nächsten Nachmittag zu ihr. »Das heißt, es braucht nicht gerade jetzt zu sein. Es liegen viele Sommerkleider von mir darin, die ich im vorigen Jahr getragen habe. Neulich erhielt ich eine Karte von einem Händler in Torquay, der alte Kleider aufkauft - und ich möchte sie doch lieber weggeben als von den Motten zerfressen lassen.«
»Ich werde es jetzt gleich tun«, entgegnete Penelope.
Ein paar Minuten später kam sie zurück und bat um den Schlüssel.
»Wie, der Koffer ist verschlossen?« fragte Cynthia überrascht. »Ich kann mich nicht erinnern, ihn abgeschlossen zu haben.« Sie zog eine Schublade ihres kleinen Sekretärs auf und nahm einen Schlüsselbund heraus. »Einer davon paßt sicherlich«, meinte sie.
Penelope ging wieder hinauf, fand auch einen passenden Schlüssel und öffnete das Schloß.
Es war ein großer, grüner Koffer. Cynthia hatte ihr am Tage nach ihrer Ankunft das ganze Haus gezeigt und dabei auch erwähnt, daß sie früher zwei gleiche Koffer besessen habe, der eine sei aber auf einer Reise verlorengegangen.
Das oberste Fach des Koffers war leer. Sie hob es heraus und legte es auf den Boden. Ein brauner Papierbogen bedeckte den Inhalt der unteren Abteilung. Sie entfernte auch diesen, und ihr Blick fiel auf zwei ungerahmte Radierungen. Die eine stellte den Kopf eines Heiligen dar, die andere eine Landschaft in der Manier von Corot. Mit einer Klammer war ein kleiner Zettel daran befestigt, der auf die Erde fiel, als sie die Radierungen herausnahm.
Es war eine Quittung: ›Ich bestätige hiermit den Empfang von siebenhundert Pfund als Zahlung für die beiden Originalradierungen St. Markus und Englische Landschaft.‹ Die Quittung war mit ›John Feltham‹ unterzeichnet und genau vor einem Jahr ausgestellt worden.
Sie stellte die beiden Radierungen beiseite und legte die Quittung auf das Fensterbrett. Dann kniete sie wieder nieder und entfernte eine weitere Papierlage. Starr vor Staunen, erblickte sie viele Pakete englischer Banknoten der verschiedensten Werte von fünf bis zu hundert Pfund.
Plötzlich hörte sie einen Ausruf hinter sich, wandte sich um und sah in das entsetzte Gesicht Cynthias.
»Mein Gott!« stieß die Frau heiser hervor.
Bevor Penelope etwas sagen konnte, hatte Cynthia sie beim Arm ergriffen und in den Gang gezogen.
»Gehen Sie
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