046 - Penelope von der 'Polyantha'
Wohnzimmer wieder zu sich kam. Ihre Hände waren eng zusammengebunden.
»Wenn Sie schreien, soll es Ihnen leid tun«, sagte Cynthia. Ihr Gesicht sah eingefallen und verzerrt aus, ihre Augen schienen eingesunken zu sein. Penelope erkannte sie kaum wieder.
Sie sah sich um und entdeckte Arthur Dorban, der mit verschränkten Armen dastand und sie düster anschaute.
»Stehen Sie auf«, sagte Cynthia kurz, und Penelope erhob sich schwankend.
Cynthia sah auf ihre Armbanduhr, nahm dann das seidene Tuch vom Tisch, drehte es zusammen und steckte es in Penelopes Mund. Das Mädchen wußte, daß es zwecklos war, Widerstand zu leisten. Sie konnte nur warten und ihre Kräfte für den Endkampf sammeln. Sie versuchte vergeblich, ihre Hände aus den Fesseln zu ziehen.
Mrs. Dorban mußte ihre Absicht erraten haben, denn sie lächelte verächtlich.
»Sie strengen sich umsonst an. Lassen Sie mich einmal sehen.«
Sie schaute hinunter. »Nein, die Seide wird keine Eindrücke zurücklassen«, sagte sie erleichtert. Sie nahm Penelope am Arm und führte sie zur Haustür.
»Warte!« rief Arthur heiser.
Cynthia wandte sich zu ihm um und blickte ihn haßerfüllt an.
»Ich werde zurückkommen und dann mit dir sprechen, Slico«, erwiderte sie leise.
Sie trat mit Penelope hinaus.
»Wenn Sie schwierig werden wollen, mache ich kurzen Prozeß mit Ihnen. Sehen Sie einmal her!«
Der Mond wurde durch dunkle Wolken verhüllt, aber es war hell genug, daß sie die schimmernde kleine Pistole in Cynthias Hand sehen konnte. Sie nickte, und sie gingen zusammen den Gartenweg hinunter durch das Tor in der Mauer. Cynthia hielt das Mädchen am Arm fest. Sie stiegen die Stufen hinab und machten erst auf dem flachen Felsen dicht bei dem Bootshaus halt.
Cynthia öffnete die Tür, die ins Innere führte. »Steigen Sie ein!«
Penelope gehorchte.
Es schien ihr alles wie ein böser Traum, und sie glaubte, sie werde jeden Augenblick erwachen. Und doch wußte sie ganz genau, daß es schreckliche Wirklichkeit war. Sie taumelte in das Boot, Cynthia folgte ihr, beugte sich vor, um die Vertäuung zu lösen, und warf den Motor an. Langsam glitt das Boot in die offene Bucht hinaus. Cynthia saß am Steuer, Penelope zu ihren Füßen, starr vor Schrecken.
Der Mond trat jetzt hinter den Wolken hervor und überstrahlte alles mit seinem blaßgelben Licht. Penelope konnte entlang der Küste die Leuchttürme sehen. Nur das rhythmische Geräusch des Motors unterbrach das tiefe Schweigen, das dort herrschte.
Etwa zwanzig Minuten lang fuhren sie mit größter Geschwindigkeit auf das offene Meer hinaus. Dann brachte Cynthia den Motor zum Stehen, ging nach vorn und kam mit einem Tau zurück, dessen eines Ende sie um Penelopes Taille legte und festknüpfte. Dann bückte sie sich und hob die eisernen Stäbe auf, die als Ballast auf dem Boden des Bootes lagen. Sie legte zwei schwere Stücke zu Penelopes Füßen und band sie daran fest.
Nun wurde dem Mädchen plötzlich klar, was die Frau beabsichtigte. Beinahe wäre sie ohnmächtig geworden, aber sie biß sich auf die Lippen, bis sie bluteten. Sie mußte noch immer träumen, denn das konnte doch nicht wahr sein. Kein Mensch brachte es über sich, ein so teuflisches Verbrechen auszuführen. Und doch kam ihr zum Bewußtsein, daß Jahr für Jahr solche schreckliche Verbrechen begangen wurden. Aber das hier konnte einfach nicht wahr sein; die Gedanken versagten ihr, - sie mußte aus diesem Traum erwachen!
»Ich werde Sie jetzt über Bord werfen. Wenn Sie ertrunken sind, ziehe ich Sie wieder heraus und nehme die Gewichte von Ihren Füßen.«
Penelope schrie auf vor Verzweiflung, aber der seidene Knebel erstickte ihre Stimme. Cynthia packte sie mit scharfem Griff und riß sie hoch. Einen Augenblick standen die beiden, Verbrecherin und ihr Opfer, nebeneinander. Penelope nahm ihre ganzen Kräfte zusammen und warf sich mit voller Gewalt gegen ihre Mörderin. Cynthia taumelte, griff mit der Hand in die Luft, schrie auf und fiel ins Wasser. Gleich darauf erschien ihr Kopf wieder auf der Wasserfläche, und sie streckte die Hände aus, um sich am Boot festzuhalten.
Penelope versuchte, sich nach vorne zu bewegen, aber die Eisen hinderten sie daran. Sie packte das Tau mit ihren geschwollenen Händen und zog sich mit aller Kraft daran weiter. Jetzt war sie in Reichweite des Schalthebels. Sie hörte das leise Geräusch des Motors. Mit größter Anstrengung drückte sie auf den Hebel und warf ihn herum - die Kielwelle sprang auf, und das
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