046 - Penelope von der 'Polyantha'
Teetrinken angewöhnt.
»Setzen Sie das Tablett nur dorthin«, sagte er und zeigte mit seinem dicken Finger auf einen kleinen Tisch in der Nähe des Fensters.
Eine seiner Stenotypistinnen hatte ihm Tee gebracht. Aber nicht Tee, wie man ihn in England trinkt, sondern jenes starke Getränk, das heiß auf große Eisstücke gegossen und in Gläsern serviert wird.
Keiner von seinen sieben Angestellten hatte übrigens die geringste Ahnung, womit sich Mr. Orford eigentlich beschäftigte. Man wußte nur, daß er sich gern als ›Organisator‹ bezeichnete. Aber ganz gewiß gehörte er nicht zu jenen Leuten, die einem den Gebrauch von Kartotheken, Patentschnellheftern und dergleichen Kram beibringen oder die sich engagieren lassen, um einen Betrieb zu ›rationalisieren‹, und die dann das ganze Büro rebellisch machen.
Zuerst dachten alle, sein Geschäft hinge irgendwie mit Schiffen zusammen. In einem großen Zimmer stand nämlich ein gewaltiger Tisch, auf dem eine Weltkarte ausgebreitet war. Hier wurden jeden Tag kleine Schiffsmodelle hin und hergeschoben. Ein Angestellter, der von Mr. Orford besonders geschult wurde, war für die Ordnung auf dem Tisch verantwortlich. Tausende kleiner Schiffe bevölkerten diese Miniaturwelt. Sie fuhren nach allen Himmelsrichtungen, nach Norden, Süden, Osten, Westen. Jede Nachricht über die Position der Schiffe wurde zweimal am Tage in Mr. Orfords Büro bekanntgegeben, und mindestens einmal am Tage erschien James selbst in dem Raum und überschaute die Situation.
»Was hat denn die ›Nippon Muru‹ dort zu tun, Stanger, wie? Sie ist doch näher an Yokohama als an Shanghai. Und dieses Schiff der Cunard-Linie ist ja vollständig außer Kurs, der legt doch nicht an den Azoren an! Den haben Sie wieder einmal mit einem Schiff der Union-Castle-Linie verwechselt!«
Er schimpfte heftig, aber er schaute doch ganz liebenswürdig drein.
Ein junges Mädchen mußte alle Eisenbahnverbindungen in Europa kennen. Sie wurde auch täglich von ihm getestet.
»Jemand fährt nach Como, Basel, Genua, Belgrad, Wien. Er will auf der Ausreise einen Geschäftsfreund in Valorbe eine Stunde lang sprechen, einen anderen in Luzern. Hat er dazu Zeit, ohne seinen Anschluß zu versäumen, wie? Sie meinen, er hat Zeit dazu? Da irren Sie sich aber sehr. Der Aufenthalt in Luzern verdirbt ihm die ganze Reise. Sie müssen sich besser informieren, Miss Jay. Sie bilden sich natürlich ein, er könnte eine Stunde dadurch sparen, daß er die Bahnverbindung über den Gotthardtunnel benützt - das ist ganz verkehrt, sehen Sie nur im Kursbuch nach.«
In seinem Kartenzimmer hingen große Landkarten von Europa, auf denen alle Verkehrswege, Flughäfen, Tankstationen für Schiffe und Kohlendepots eingezeichnet waren. Er konnte aufs Pfund genau angeben, wieviel Gefrierfleisch ein Kapitän zu irgendeiner Zeit in Vigo, Triest, Dakar, Kapstadt oder Colombo kaufen konnte.
Er selbst kaufte jedoch weder Fleisch, noch verkaufte er Schiffe. Er handelte auch nicht mit Eisenbahnaktien. Anscheinend organisierte er nichts weiter als die Arbeiten in seinem Büro und sein eigenes, angenehmes Leben.
Während er tief in Gedanken vor seinem Schreibtisch saß, brachte ein Angestellter eine Karte herein. Es war keine Visitenkarte, sondern eines jener kleinen Formulare, die Mr. Orford im Wartezimmer für Leute auflegte, die ihn sprechen wollten.
Er setze seine schwarzumrandete Brille auf und sah wohlwollend auf den Namen.
»Miss Penelope Pitt«, las er. Unten, wo der Besucher eigentlich den Zweck seines Kommens angeben sollte, standen die Worte: ›Auf Empfehlung des Richters Heron in Edmonton.‹
»Führen Sie die Dame herein«, sagte er sofort.
Penelope trat ein. Sie war ein wenig nervös und unentschlossen, aber ihre Aufregung und ihre Unsicherheit verwandelten - sich zu einem großen Erstaunen, als sie Mr. Orford sah.
»Nehmen Sie bitte Platz. Sie kommen aus Edmonton? Einen Brief? Lassen Sie mich einmal sehen.« Er nahm das Schreiben aus ihrer Hand, las es schnell durch, legte es dann sorgfältig beiseite und betrachtete sie liebenswürdig.
»Nun, was kann ich für Sie tun, Miss Pitt?«
Penelope fiel es schwer, ihre Geschichte zu erzählen. Sie erwähnte keinen Namen und sagte nicht einmal, wo sie augenblicklich wohnte.
»Ich fühle mich eigentlich wie eine Gefangene«, erklärte sie ihm. »Und ich habe augenblicklich den unangenehmen Eindruck, daß ich einem meiner Gefängniswärter entsprungen bin. Die Dame erwartete mich am
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