046 - Penelope von der 'Polyantha'
Kabinenschloß in Ordnung. In der Regel ist es nämlich nicht ganz intakt. Den Schlüssel finden Sie in der obersten rechten Schublade des Schreibtisches.«
Ein merkwürdiger junger Mann, dachte Penelope, als sie sich an dem warmen Bad erfreute. Als sie später die Kabinentür öffnete, standen ihre Schuhe draußen. Ihre Kabine führte auf das Oberdeck. Es wehte eine steife Brise, und damit ihre leichten Schuhe nicht über Bord geweht wurden, hatte die ›Stewardeß‹ eine eiserne Stange darüber gelegt. Bei diesem Anblick überlief sie ein Schauer.
Zehn Minuten später trat sie auf das Deck hinaus.
»Guten Morgen, Miss Pitt.«
Sie wandte sich um.
Ein etwas starker junger Mann weidete sich an ihrem Erstaunen.
»Mr. Stamford Mills!« rief sie überrascht.
»Ja, das bin ich. Ich hatte das Vergnügen, Sie schon gestern nachmittag kennenzulernen.«
»Aber - wie kommt es denn, daß Sie auch hier sind?« fragte Penelope verwundert.
»Darf ich Ihnen unseren Arzt, Dr. Fraser, vorstellen?«
Der Schiffsarzt war ein schweigsamer Schotte, der Penelope mißtrauisch betrachtete. Sie fühlte, daß er ihre Anwesenheit auf dem Schiff als etwas Ungehöriges ansah, und sie fragte, ob noch andere Damen an Bord seien.
»Nein, leider nicht«, erwiderte Mr. Robert Stamford Mills. »Und wie Sie hierhergekommen sind, ist mir ein Rätsel. Ich hörte erst heute morgen davon, als ich aufwachte. Man sagte mir, daß Sie in einem kleinen Motorboot aufgefischt worden seien. Was hatten Sie denn mitten in der Nacht auf hoher See zu tun?«
»Man wollte mich ermorden«, sagte Penelope ruhig.
»Ermorden?« fragte er schnell. »Wie meinen Sie denn das?«
»Wenn ich es Ihnen erzählte, würden Sie denken, ich hätte den Verstand verloren. Dergleichen passiert nur in schrecklichen Träumen oder verrückten Büchern. Ich will niemandem etwas davon sagen, bis ich wieder an Land bin, auch dann -«
»Aber Sie müssen es mir sagen! Oder noch besser Mr. Orford«, sagte er, als er sah, daß sie sich verletzt fühlte.
»Kennen Sie denn Mr. Orford?« fragte sie erstaunt. »Warum ist er eigentlich an Bord? Ich dachte, er wollte nach Amerika reisen?«
»War es Cynthia oder Arthur, der den Mordanschlag auf Sie verübte?« fragte Bobby Mills hartnäckig. »Und warum ist das geschehen? Hatten Sie irgend etwas über die Leute herausgefunden? Oder -«
»Oder?« fragte sie herausfordernd.
Er sah sie nachdenklich an.
»Cynthia Dorban ist eine sehr eifersüchtige Frau, die vor nichts zurückschreckt und kein Mitleid kennt. Ihr erster Mann starb unter sehr merkwürdigen Umständen. Meiner Meinung nach -«
Er hielt plötzlich inne.
»Da kommt Mr. Orford«, unterbrach sie ihn, und Bobby ging dem liebenswürdigen, älteren Herrn entgegen. Gleich darauf traten sie zu ihr an die Reling.
»Nun, ich muß schon sagen, daß ich nicht auf Sie gerechnet hatte«, begrüßte sie Mr. Orford. »Wissen Sie, was Sie für uns bedeuten, mein Fräulein? Ein wenig Sand in der sonst so gut laufenden Maschine meiner Organisation. Sie sind das fünfte Rad am Wagen und die neunte Dimension. Sie gehören nicht hierher. Sie sind wie ein Stück Papier, das in kein besonderes Fach gehört und das man immer von einer Stelle zur anderen schiebt. Aber irgend etwas müssen wir ja nun mit Ihnen anfangen.«
»Bin ich Ihnen denn so sehr im Wege?« fragte sie schuldbewußt.
Mr. Orford nahm seine Mütze ab und fuhr erregt mit der Hand durch das Haar.
»Es ist möglich, daß Sie unsere ganzen Pläne stören. Im Augenblick hindern Sie uns ebensowenig wie eine schöne Rose, die in den Wüsten Arabiens blüht. Sie kommen mir vor wie jemand, der mit einem roten Hut bei einer Beerdigung erscheint. Außerdem sind Sie sehr verdächtig, und deswegen sorge ich mich.«
»Können Sie mich denn nicht irgendwo an der Küste absetzen?«
»Nein, das ist unmöglich«, sagte er entschieden. »Wir kommen an keine Küste, wo wir Sie absetzen könnten. Sie sind eben jetzt dazu verdammt, auf den westlichen Meeren umherzufahren. Vielleicht ist es von der Vorsehung so eingerichtet, daß Sie an Bord kommen sollten, und vielleicht machen Sie diese Reise erst glaubwürdig. Aber wir haben keine Kleider für Sie, keinen Puder und keinen Lippenstift und was sonst junge Damen alles zum Leben brauchen. Sie sind in einer absolut männlichen Umgebung, und solange wir nicht in die südlichen Teile des Stillen Ozeans kommen, wüßte ich nicht, was wir für Sie tun könnten.« Er sah Mills an und kniff die Augen
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