046 - Penelope von der 'Polyantha'
sich.
»Kann ich Ihnen noch etwas bringen, bevor Sie sich zur Ruhe legen, Miss Pitt?«
»Nein, ich danke Ihnen, John.«
»Ich habe Ihnen etwas Mineralwasser hineingestellt. Und denken Sie daran, daß Sie Ihre Tür abschließen können. Wann wünschen Sie morgen früh den Tee? Ich fürchte allerdings, Sie müssen morgen zur Tür kommen und mir das Tablett abnehmen. Ich bin zwar ein vorzüglicher Steward, aber als Kammermädchen etwas schüchtern. Wie sind denn die anderen Passagiere gestimmt?«
»Sie sind sehr schweigsam. John, können Sie mir nicht sagen, wohin wir fahren?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Vielleicht durch den Panamakanal in die Südsee.«
»Wem gehört denn dieses Schiff?«
»Ich vergaß den Namen des Eigentümers - es ist ein französischer Herzog. Aber der Herr, der die Jacht gechartert hat, ist der edle Xenocrates.«
»Mr. Orford?« fragte sie erstaunt.
»Ja.«
»Kennen Sie ihn näher?«
»Ich kannte ihn nicht, bis ich ihm hier an Bord begegnete. Sie wollen mich noch etwas fragen? Wahrscheinlich möchten Sie erfahren, warum sich ein Mann mit meinen überragenden Talenten und meiner Unterhaltungsgabe in einer so untergeordneten Stellung auf Mr. Orfords Jacht befindet?«
»Ja, das kommt mir allerdings sonderbar vor.«
»Das ist es auch. Sie wären eine blasierte alte Jungfer, wenn Sie anders darüber dächten. Ich weiß nur nicht recht, wie ich Ihnen meinen Posten hier erklären soll. Aber nehmen Sie einmal an, ich sei ein armer schottischer Student, der sich während der Ferien auf See das nötige Geld verdient, um seine Kolleggelder zu bezahlen. Klingt das nicht ganz glaubhaft?«
»Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte sie. Aber es schien ihr, als hätte sie sich jetzt lange genug mit ihm unterhalten. Sie sagte ihm gute Nacht und verschwand in ihrer Kabine.
Er hörte noch, wie sie zuschloß, als er zum Wellendeck hinunterging. Eine dunkle Gestalt, die im Schatten auf einem Poller gesessen hatte, erhob sich rasch.
»Steck die Pistole weg, alter Freund«, sagte John mürrisch. »Mach, daß du zu Bett kommst. Warum hast du dich noch nicht hingelegt?«
»Weil ich nicht eher zu Bett gehe, als bis du dich auch gelegt hast«, erwiderte der andere mit rauher und heiserer Stimme. »Hier ist keiner mehr als der andere. Ich kenne meine Stellung hier genau. Ich habe mir die Sache überlegt, und ich werde dir einmal sagen, wie es noch kommt. Die Sache kostet den alten Kerl zwanzigtausend Pfund, keinen Penny weniger. Ich will zwanzigtausend ausgezahlt haben, und ihr sollt mich in Südamerika an Land setzen.«
John nahm ein Etui aus seiner Hosentasche und zündete sich eine Zigarette an.
»Du bist verrückt!« sagte er dann kurz und wandte sich zum Gehen.
»Sag mal, Kollege, wer ist denn eigentlich diese Schürze hier?«
»Was willst du wissen?« John drehte sich plötzlich wieder zu ihm um.
»Ich meine dies Weib da oben in der Kabine. Ich habe gesehen, wie sie vorige Nacht an Bord kam. Wer ist sie denn? Ein hübsches Mädchen, das muß ich sagen!«
»Hollin«, sagte John ruhig, »willst du wirklich nach Südamerika? Wenn das der Fall ist, sprichst du nie wieder über diese Dame. Hör gut zu. Wenn du ihr noch einmal eine Kußhand zuwirfst, dann wirst du mir trotz deiner beiden Pistolen nicht entkommen. Du wirst nicht einmal wissen, woher die Kugel pfeift, die dir den Schädel einschlägt! Denk daran!«
»Wozu machst du denn einen solchen Krach mit mir? Habe ich mich nicht die ganze Zeit wie ein Gentleman benommen? Habe ich nicht Crawley kaltgemacht, als er dich fassen wollte?«
»Du bist ein Lügner«, erwiderte John gleichmütig. »Es war überhaupt kein Grund vorhanden, Crawley niederzuschlagen.«
Penelopes Kabine lag in gleicher Höhe mit dem Boden des Vordecks, und durch zwei Luken konnte man das Wellendeck überschauen, wo die beiden miteinander sprachen. Die Fenster waren offen, und sie stand dort, stützte die Ellenbogen auf und schaute auf das blaugrüne Meer hinaus, das hell vom Mond beschienen wurde. Sie hatte die Stimmen gehört, und plötzlich vernahm sie deutlich die Worte:
»Es war überhaupt kein Grund vorhanden, Crawley niederzuschlagen.«
Wer mochte dieser unglückliche Mann sein? Und was hatten diese beiden Menschen, die so ganz verschieden waren, miteinander zu schaffen?
Kurz darauf war alles ruhig, und nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, daß ihre Tür fest verschlossen war, ging sie zu Bett. Sie schlief gleich ein.
In der Nacht wachte sie
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