046 - Penelope von der 'Polyantha'
anscheinend nichts anderes zu tun hatte, als auf dem Vorderdeck zu sitzen und Zigarren zu rauchen. Es war ein breitschulteriger Mann mit einem kugelrunden Kopf und einem brutal wirkenden Gesicht. Seine kurzgeschorenen Haare, seine Stupsnase und sein dicker Hals gaben ihm das Aussehen eines Profiboxers. Allein seine Trägheit hätte ihn auffällig erscheinen lassen, aber er erregte noch mehr Aufsehen dadurch, daß er einen Ledergürtel trug, an dem zwei schwere Pistolentaschen hingen, eine an jeder Hüfte.
Er schaute auf, als sich Penelope über die Reling lehnte und ihn beobachtete. Er verzog das Gesicht zu einer sonderbaren Grimasse, die ein Lächeln sein sollte, ihn aber nur noch abstoßender machte. Dann winkte er ihr zu ihrer größten Entrüstung zu. Sie dachte zuerst, daß diese Geste nicht ihr gelte und nur zufällig gewesen sei, aber als er ihr eine Kußhand zuwarf, wandte sie sich empört ab.
»Was gibt es denn?«
Der Steward richtete diese Frage an sie.
»Der Matrose dort -«, sagte sie ein wenig unzusammenhängend. »Er - er, ach, es war nichts. Matrosen sind wahrscheinlich so.« Sie versuchte zu lächeln, obschon sie sich ärgerte, aber er ließ sich nicht täuschen.
»Hat er Sie beleidigt?«
»Er war ein wenig frech - er hat mir widerlicherweise eine Kußhand zugeworfen. Ich glaube, er dachte -«
Bevor sie den Satz beenden konnte, hatte er sich umgewandt und war die Treppe zum Vorderdeck hinuntergeeilt. Sie sah, wie er schnell auf den großen Mann zuging. Sie sprachen heftig miteinander, dann drehte sich John um und stieg langsam die Treppe wieder herauf. Sein Gesicht war bleich.
»Er wird Sie nicht mehr belästigen«, sagte er nur kurz und ging an ihr vorüber.
9
Der Matrose, der den ganzen Tag nichts tat, hieß Hollin, wie sie später von Bobby Mills erfuhr. Der junge Mann schien aber nicht gern über ihn und seine Untätigkeit zu sprechen.
»Warum trägt er eigentlich die Pistolen?«
»Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Bobby höflich.
Jeden Abend erschien Hollin auf dem oberen Deck. Er hatte eine Zigarre im Mundwinkel und die Hände in den Hosentaschen. So ging er nach hinten und stieg dort die Treppe hinunter.
Keiner der Passagiere kümmerte sich auch nur im geringsten um ihn. Der alte Captain, der neben Mr. Orfords Stuhl stand, schaute ihm nach, als er vorbeikam, aber er sagte nichts. Sonst herrschte schärfste Disziplin an Bord. Der Steuermann grüßte militärisch, und alle Matrosen liefen, sobald die Pfeife des wachhabenden Offiziers ertönte. Nur der Steward John und der merkwürdige Hollin schienen sich nicht im mindesten darum zu kümmern. Aber John tat nichts, was man irgendwie als eine Beleidigung oder Ungezogenheit hätte auslegen können. Er mischte sich nur immer gern in die Unterhaltung.
Mr. Orford brachte den größten Teil des Tages schlafend in einem der großen, bequemen Deckstühle zu. Ein großer Sonnenschirm war über ihm aufgespannt. Mr. Stamford Mills dagegen beschäftigte sich viel in seiner eigenen Kabine.
Orford und Mills waren anscheinend die einzigen Passagiere an Bord der Jacht. Die Besatzung setzte sich aus dem Ersten, Zweiten und Dritten Offizier, dem Chefingenieur und seinem Assistenten, dem Zahlmeister, dem Funker, ungefähr zwölf Matrosen und dem Captain zusammen.
Die Ruhe an Bord wurde nur gestört, wenn der Funker einen Funkspruch brachte. Dann kamen schnell alle zusammen, und auch Mr. Orford wachte auf und erhob sich.
Einmal wurde nach einer solchen Konferenz der Kurs der ›Polyantha‹ geändert, und das Schiff, das bisher nach Westen gehalten hatte, wandte sich scharf nach Süden. Sie fuhren jetzt auch mit viel größerer Geschwindigkeit, wie Penelope wahrnahm. Der ganze Schiffsrumpf zitterte, und Sturzseen kamen über den scharfgeschnittenen Bug. Dann wurde plötzlich ohne ersichtlichen Grund Kurs nach Osten genommen, dann wieder nach Süden.
Früh am Nachmittag wurde ein Matrose in den Mastkorb geschickt, der den ganzen Horizont mit einem scharfen Fernglas absuchen mußte. Am Abend waren alle verdrießlich und schweigsam. Bobby Stamford Mills beantwortete Penelopes Fragen nur kurz. Mr. Orford saß stumm da und hatte die Hände über dem Bauch gefaltet.
Der einzige, der ein fröhliches Gesicht machte, war der Steward John. Er servierte ihr das Abendbrot und brachte danach noch Kaffee an Deck. Als sie sich zurückzog, fand sie ihn, wie er auf dem Deck kauerte, den Oberkörper an die Kommandobrücke gelehnt. Als sie erschien, erhob er
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