046 - Penelope von der 'Polyantha'
ertragreichen Abend.
Gegen Sonnenuntergang wachte Mr. Hollin wieder auf und hatte einen furchtbaren Durst. Eine Flasche Weißwein, die ein wenig nach Fichtenholz schmeckte, brachte ihn wieder in eine glückliche Stimmung. Er konnte nicht spanisch sprechen, aber das hinderte ihn in keiner Weise. Taumelnd ging er durch die dunklen Straßen. Seine Hände steckten in den Hosentaschen, sein wüstes Gesicht war vom Wein erhitzt. Nun wollte er auf Abenteuer ausgehen.
Plötzlich hatte sich ihm ein Fremdenführer zugesellt, eines dieser niederträchtigen Individuen, die in jedem Hafen anzutreffen sind. Er redete ihn auf englisch an, und Mr. Hollin schloß sofort Freundschaft mit ihm.
»Auf Sie habe ich gerade gewartet«, sagte er. »Zeigen Sie mir einmal die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Ich habe viel Geld in der Tasche, und ich möchte irgendwohin, wo es Mädel und Tanz gibt.«
Sie landeten denn auch in einem ziemlich wüsten Lokal, wo Männer Gitarre spielten und wenig bekleidete Mädchen spanische Tänze tanzten, die in einem weniger aufgeklärten und gesitteten Zeitalter einmal beliebt waren. Mr. Hollin saß an einem Tisch, auf dem mehrere Flaschen Rioja standen, daneben schlechter Whisky und billiger Champagner. Er hatte auf jedem Knie ein Mädchen sitzen und sang, so laut er nur konnte, ein sentimentales Lied von seiner ›alten Mutter‹.
Plötzlich näherte sich ihm ein Mann, der anscheinend kein Spanier war. Er war groß und schien in den mittleren Jahren zu stehen. Sein aufrechter Gang hätte Mr. Hollin gewarnt, wenn er etwas nüchterner gewesen wäre.
»Sind Sie Engländer?« fragte der Fremde und setzte sich an seinen Tisch.
»Ja, ich bin Engländer. Wenn Sie es genau wissen wollen, ich bin in Australien geboren. Trinken Sie einmal mit mir.«
Der Fremde schenkte sich ein Glas aus einer Flasche ein, auf deren Etikett ›Whisky‹ stand. Aber er verdünnte das giftige Zeug noch ausgiebig mit Wasser.
»Wie heißt denn Ihr Schiff?« fragte der Fremde scheinbar gleichgültig.
» Schiff? Was wollen Sie damit sagen?« Mr. Hollin runzelte die Stirn.
»Sie sind doch Matrose - nur Matrosen kommen nach Vigo.«
»Matrose? Hm - das bin ich und bin es auch nicht.« Mr. Hollin schluckte. »Ich bin ein Matrose, aber jetzt bin ich ein Passagier. Wer sind Sie denn überhaupt, mein Herr?« fragte er plötzlich unwirsch.
»Ich bin nur ein Reisender.«
»Na gut, dann reisen Sie von dannen«, sagte Hollin laut. Er war argwöhnisch geworden. »Kümmern Sie sich nicht um meine Angelegenheiten, die gehen Sie nichts an!«
»Tut mir leid«, erwiderte der andere mit einem ruhigen Lächeln. »Auf Ihr Wohl!«
Er nippte an seinem Glas. Mr. Hollin war nun wieder beruhigt und erzählte ihm mehr.
Es war ein ziemlich verworrenes Zeug, was er schwatzte. Nach einer Weile erhob sich sein Gast, entschuldigte sich und ging zu seinem eigenen Tisch zurück. Der Fremdenführer, der Mr. Hollin herbegleitet hatte, neigte sich zu ihm.
»Das war ein englischer Kriminalbeamter«, flüsterte er ihm zu.
Plötzlich wurde Mr. Hollin ganz nüchtern.
»Woher wissen Sie das?«
»Einer meiner Freunde hat heute morgen etwas für ihn übersetzt.«
Obgleich Hollin betrunken war, kam ihm der Gedanke, daß Gefahr im Verzüge sei.
»Ein Kriminalbeamter?« fragte er unangenehm überrascht. »Was hat denn der hier zu suchen?«
»Das weiß ich auch nicht. Er hat Nachforschungen nach einem Mann angestellt, der früher hier in Vigo lebte. Er ist schon seit mehreren Tagen hier.«
Hollin blinzelte durch den raucherfüllten Raum zu dem großen Mann hinüber, der offensichtlich in die Lektüre einer spanischen Zeitung vertieft war.
»Hören Sie einmal, mein Freund«, sagte er dann leise, »können Sie nicht herausbringen, wie der Kerl heißt? Ich glaube, ich kenne ihn.«
»Er hat einen merkwürdigen Namen - er heißt Spinner.«
»Zum Donnerwetter«, fluchte Hollin. »Ich wußte doch, daß ich ihn kenne!«
Er dachte nach, was er zu seiner Sicherheit tun konnte, soweit ihn sein geringer Verstand dazu befähigte. Schnell trank er sein großes Weinglas aus, winkte heimlich dem Kellner, zahlte seine Zeche und verließ mit dem Fremdenführer das Lokal. Er schaute noch einmal zurück und bemerkte, daß sich auch der Kriminalbeamte erhoben hatte und ihnen folgte. Er drückte dem Mann noch einen Geldschein in die Hand.
» Suchen Sie den Kerl in eine Unterhaltung zu verwickeln, ich muß jetzt einen Freund aufsuchen.«
Er lief die dunkle Straße hinunter,
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