046 - Xendarro, der Vampir
lange hielt sie es darunter nicht aus, denn es wurde heiß und stickig, und so schlug sie die Decke wieder zurück und atmete mit tiefen Zügen die kühle Luft ein.
Ganz zufällig blickte sie dabei zur verglasten Tür, und ihr blieb das Herz vor Schreck fast stehen, denn sie bemerkte einen Mann, der mit blutunterlaufenen Augen hereinstarrte.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange er schon dort gestanden hatte.
Die Angst lähmte sie so sehr, daß sie nicht imstande war, um Hilfe zu rufen. Starr wie eine Leiche lag sie im Bett und hoffte, daß der Unheimliche sich nicht gewaltsam Einlaß in ihr kleines Zimmer verschaffte.
Da sie vollkommen still lag, nahm er wohl an, sie würde schlafen.
Als er endlich verschwand, fiel Carmen ein riesiger Stein vom Herzen, aber an Schlaf war in dieser Nacht natürlich nicht mehr zu denken.
In der darauffolgenden Nacht stand der Schreckliche wieder auf der Veranda. Kalte Schauer überliefen das zitternde Mädchen, und wieder konnte sie kein Auge zutun.
Zwei schlaflose Nächte hintereinander ließen Carmen müde und krank aussehen. Ihre Mutter, die sich Sorgen um ihr einziges Kind machte, wollte wissen, was mit ihr los wäre, und Carmen vertraute sich ihr an.
Mutter machte ihr Vorwürfe, weil sie ihr davon nicht schon einen Tag früher erzählt hatte, und dann beriet sich die ganze Bäckersfamilie, auf welche Weise man dem Treiben dieses unheimlichen Mannes Einhalt gebieten könne.
Manuel Salguero glaubte, die richtige Idee zu haben…
Und wieder war es Nacht, und diesmal hinderte den bleichen Fremden keine verschlossene Tür daran, Carmens Zimmer zu betreten.
Als das Mädchen ihn in der Tür stehen sah, drohte sie ihr Mut zu verlassen. Eine panische Angst befiel sie, während sie das leise Rascheln des Stoffes vernahm, als der Vampir sich bewegte.
Sie glaubte, ihr Herz würde so laut schlagen, daß der blasse Mann es hören mußte, und sie zitterte wie Espenlaub. Es waren die schrecklichsten Minuten ihres jungen Lebens.
Näher, immer näher kam das grausame Schattenwesen, und Carmen hatte das Gefühl, daß nicht der Vampir, sondern die Angst sie gleich umbringen würde. In wenigen Augenblicken würde er sich über sie beugen und…
***
Sie hatten sich gründlich besprochen, und nun mußten sie warten.
Es waren bedrückende Stunden für Manuel Salguero und seine Frau Fena, denn es gab für sie nichts Wertvolleres auf der Welt als ihre Tochter, die sie nicht verlieren wollten.
Die Minuten vertickten unendlich langsam. Endlich schlug die alte Pendeluhr zwölfmal. Mitternacht. Manuel Salguero griff nach der schmalen feuchten Hand seiner Frau.
Fena sah ihn verzweifelt an. »Ich habe Angst«, flüsterte sie.
»Mach dir keine Sorgen«, gab er leise zurück. »Es wird alles gut werden. Du mußt Vertrauen haben.«
Sie saßen auf einer gepolsterten Bank, und das Licht des Vollmondes ergoß sich über sie. Keine Lampe brannte im Raum; der Vampir sollte glauben, daß Carmens Eltern schliefen.
»Vielleicht… sollten wir nach Carmen sehen«, meinte Fena Salguero heiser.
Ihr Mann schüttelte den Kopf und drückte ihre Hand. »Wir müssen warten. Wir dürfen ihn nicht verscheuchen, sonst verschwindet er und versucht ein andermal, an unser Kind heranzukommen.«
»Warum?« fragte die Frau schluchzend. »Warum muß es solche schreckliche Kreaturen geben, Manuel?«
»Sie verkörpern das Böse, wurden vom Teufel erschaffen und leben nach den Gesetzen der Hölle.«
»Aber warum?«
Der Bäcker seufzte und zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht, Fena. Es ist so, und wir können uns nur damit abfinden. Vielleicht braucht das Gute ein Gegenstück, damit wir den Kontrast erkennen, wie das Licht als Gegenstück die Dunkelheit braucht. Ich kann dir leider keine bessere Erklärung geben. Vielleicht kann es Pater Pedro.«
Manuel Salgueros Blick wanderte durch den Raum zu dem Priester, den sie in ihr Haus geholt hatten. Stumm und reglos saß der Pfarrer an dem großen Wohnzimmertisch.
Er schien zu meditieren. Es hatte den Anschein, als wäre er mit seinen Gedanken weit weg, doch das traf nicht zu. Pater Pedro versuchte sich auf die Geräusche im Haus zu konzentrieren, denn wenn er nicht rechtzeitig etwas gegen den Vampir unternahm, war Carmen verloren.
Als ihn der Bäcker um Hilfe bat, erklärte er sich dazu sofort bereit, und er führte ein ausführliches Gespräch mit Carmen, wonach für ihn feststand, daß es sich bei dem Mann, der keinen Schatten warf, um einen Vampir
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