046 - Xendarro, der Vampir
trocken. Schweißnaß war seine Kleidung, und sein Körper war eine Quelle des Schmerzes.
Weiter! sagte er sich verbissen. Ich muß weiter! Sie dürfen mich nicht finden!
Umständlich erhob er sich. Die ersten Schritte stakste er, dann fing er wieder an zu laufen. Immer wieder fiel er gegen eine Hausmauer.
Er schleifte oft mehrere Meter mit der Schulter daran entlang, ehe es ihm gelang, sich davon wieder abzustemmen. All seine Gelenke schienen ausgeleiert zu sein, er hatte kaum noch Halt in den Schuhen, und seine Hoffnung, die Kirche heil zu erreichen, schwand mehr und mehr.
Atemlos erreichte er schmale, flache Stufen. Seine Schenkel brannten wie Feuer, er stützte sich links und rechts ab, zog sich mit den Armen vorwärts, trieb sich trotz zunehmender Entkräftung zu immer größerer Eile an.
Als er die letzte von zehn Stufen hinter sich gebracht hatte, brach er erschöpft zusammen. Er konnte nicht mehr weiter, war am Ende.
Aber da war ein finsterer Kellerabgang. Auf diesen kroch er zu, und er polterte die Treppe hinunter. Die Stufen hämmerten in seinen Körper.
Er spürte die Schläge kaum noch, zog zitternd die Beine an, machte sich ganz klein und lag vollkommen still, denn seine einzige Chance bestand darin, daß sie ihn übersahen.
Überdeutlich vernahm er ihre Schritte. Sie näherten sich dem Kellerabgang, und er hatte nicht den Mut, nach oben zu blicken. Er vergrub den Kopf unter den Armen und wäre froh gewesen, wenn es ihm möglich gewesen wäre, im Boden zu versinken.
Als ihre Schritte ganz nahe waren, zwang er sich dazu, den Atem anzuhalten. Es war eine fast übermenschliche Anstrengung, und er hielt auch nicht lange durch.
Aber doch so lange, bis sie an ihm vorbei waren.
Sie hatten ihn nicht entdeckt! Sein Herz machte einen Freudensprung. Sollte er doch das Glück haben, dieses schreckliche Erlebnis heil zu überstehen?
Er wagte noch nicht zu hoffen. Ganz still lag er vor der Kellertür und wartete. Doch da er befürchtete, die Höllenwesen könnten zurückkommen, hielt es ihn nicht lange hier.
Vorsichtig hob er den Kopf. Durfte er dem Frieden trauen? Argwöhnisch tauchte er aus der Versenkung auf. Nichts geschah. Das machte ihm Mut.
Er setzte seinen Weg zur Kirche fort, und es grenzte für ihn an ein kleines Wunder, daß ihn niemand daran hinderte, sie zu erreichen.
***
Pater Pedro war von der Begegnung mit dem Vampir derart aufgewühlt, daß er es als zwecklos ansah, zu Bett zu gehen. Er hätte unmöglich schlafen können, und wach wollte er nicht im Bett liegen.
Vielleicht würde er sich in ein bis zwei Stunden beruhigt haben und mit bleischweren Gliedern ins Bett fallen. Bis dahin wollte er arbeiten.
Es gab vieles zu erledigen, wozu er bisher nicht gekommen war.
Unter anderem wollte er einen Brief an den Kardinal schreiben, einen Bittbrief Bedürftiger befürworten und sich darum bemühen, daß ein junges Paar, das vor zwei Wochen nach Granadell gekommen war, Arbeit fand…
Den Brief an den Kardinal schob er vorerst beiseite, denn der mußte wohl überlegt sein, die Argumente mußten überzeugen, der Stil bestechen…
Deshalb nahm er sich zuerst den Bittbrief her, doch er kam nicht dazu, ihn noch einmal durchzulesen, denn jemand trommelte mit Fäusten gegen die Pfarrhaustür.
»Pater Pedro! Pater Pedro!«
Der Priester erhob sich und begab sich zur Tür. Er schob den schweren Eisenriegel zur Seite und öffnete.
Cipriano Valdenebro fiel ihm fast in die Arme. Der Mann machte einen gehetzten, verstörten Eindruck. Er eilte an dem Pfarrer vorbei und keuchte: »Machen Sie die Tür zu! Schnell! Sie sind hinter mir her!«
»Wer?« fragte Pater Pedro.
»Die Tür! Bitte!« flehte der wankende Mann.
Der Pater drückte die Tür erst zu, nachdem er einen Blick nach draußen geworfen hatte. Sein erster Gedanke hatte natürlich dem Vampir gegolten.
Aber Cipriano Valdenebro hatte von mehreren gesprochen. Gab es etwa mehrere Vampire in Granadell?
Wie soll ich es gleich mit mehreren Blutsaugern aufnehmen? schoß es Pater Pedro durch den Kopf. Ich hatte bereits mit diesem einen Schattenwesen meine liebe Not.
Er musterte Valdenebro eingehend. Der Mann war bekannt dafür, daß er viel und gern trank. Manchmal fand man ihn volltrunken irgendwo im Straßengraben, oder er lag in einem Weizenfeld oder unter Olivenbäumen und wußte nicht einmal mehr, wie er hieß.
Pater Pedro hatte ihn deswegen schon einige Male ins Gebet genommen. Cipriano hatte eigentlich keinen Grund, sich manchmal bis zur
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