046 - Xendarro, der Vampir
ist von der schwarzen Macht dazu ausersehen, abtrünnige Hexen zu jagen und zu töten«, erklärte ich.
Madame Marra sah mir fest in die Augen und fragte: »Ist er der Grund Ihres Besuches?«
»Ja«, antwortete ich.
»Und wieso kommen Sie beide zu mir?« fragte die Astrologin verwundert.
Ich erzählte ihr auch von Magos Schergen und daß wir schon sowohl mit ihnen als auch mit Mago selbst zu tun hatten, und dann ließ ich endlich die Katze aus dem Sack: »Magos Schergen befinden sich seit gestern in Granadell.«
Sie wurde nicht blaß, sprang nicht erschrocken auf, hielt den Atem nicht an… Nichts. Hatte sie sich so gut unter Kontrolle?
»Magos Schergen«, sagte sie, und es klang so, als brauchte sie vor diesen Höllenwesen keine Angst zu haben. »Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie das alles mir erzählen, Señor Ballard.«
»Kennen Sie Cipriano Valdenebro?«
»Den Schneider, natürlich. Er arbeitete schon mal für mich. Ich glaube, Sie können in jedem Schrank dieses Dorfes ein Kleidungsstück finden, das Cipriano Valdenebro angefertigt hat. Er ist ein sehr guter Schneider.«
»Das war er«, korrigierte ich die Astrologin.
»War?« fragte sie erstaunt.
»Er lebt nicht mehr.« Ich sagte ihr, was Magos Schergen aus ihm gemacht hatten, und zum erstenmal reagierte sie: mit ehrlicher Betroffenheit.
»Der arme Mann«, flüsterte Madame Marra.
»Er erzählte Don Pedro, daß die Schergen offensichtlich jemand suchten.«
»Wen?« fragte Marra.
»Wissen Sie es nicht?«
»Wie sollte ich, Señor Ballard?« fragte die Astrologin und schaute mich verwundert an.
»Natürlich suchen diese Höllenkreaturen eine weiße Hexe«, sagte ich.
»Hier in Granadell?« Wieder dieser verwunderte Blick, aber keine Panik, keine Angst. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Ich hatte ihr von meinen Freunden und unseren Problemen mit Mago und seinen Schergen erzählt, aber sie vertraute sich mir nicht an.
Glaubte sie mir nicht?
Hielt sie mich für einen Lügner, der ihr ein Märchen erzählte, um ihr ein Geheimnis zu entlocken, das sie streng hütete? Und wie war es mit Pater Severin? Hielt sie den etwa auch für einen Lügner? Seit wann lügen denn Priester?
»Ich glaube, ich muß deutlicher werden«, sagte ich. »Pater Severin und ich kamen nach Granadell, weil uns Don Pedro darum bat. Der Priester fürchtet um die Sicherheit der Dorfbewohner. Mit Recht, wie sich inzwischen herausstellte, denn Magos Schergen machten aus dem Schneider einen gefährlichen Totenkopf-Zombie. Aber sie kamen mit Sicherheit nicht in dieses Dorf, um Valdenebro zu töten, der bedauernswerte Mann kam ihnen lediglich in die Quere. Ihre eigentliche Aufgabe war und ist es, eine weiße Hexe in Granadell aufzuspüren. Sie sind Astrologin, und mir kam zu Ohren, daß manche Leute Sie eine Hexe nennen, Madame Marra. Was sagen Sie dazu?«
»Ach, jetzt verstehe ich, Señor Ballard«, sagte die Astrologin und lächelte mich entwaffnend an. »Sie sind hier, weil Sie glauben, ich wäre eine weiße Hexe.«
»Sind Sie das nicht?«
»Mein lieber Señor Ballard, die Menschen reden sehr viel dummes Zeug. Ich nehme an, damit sage ich Ihnen nichts Neues. Ich bin Astrologin; solche Leute umweht zumeist ein geheimnisvoller Hauch. Vielleicht ist das der Grund, weshalb man in mir eine Hexe zu sehen vermeint, doch für mich ist die Astrologie nichts weiter als eine exakte Wissenschaft mit präzise vorgegebenen Formeln und Berechnungen. Da ist kein Zauber dabei, es hat alles Hand und Fuß, und es kostete mich sehr viel Schweiß und Mühe, mir dieses umfassende Wissen anzueignen, das ich den Menschen heute zur Verfügung stelle. Ob ich eine Hexe bin, wollen Sie wissen. Nun, meine Antwort lautet klar und kurz: nein. Es freut mich, daß Sie sich um mich Sorgen machten, und ich danke Ihnen, daß Sie zu mir kamen, um mich zu warnen und zu beschützen – ich darf doch annehmen, daß Sie auch das getan hätten…«
»Ja.«
»Aber ich bin nicht die Frau, die Magos Schergen suchen. Das heißt mit anderen Worten: Ich habe von diesen Höllenkreaturen genausoviel oder genausowenig zu befürchten wie jede andere Frau in Granadell.«
Ich atmete tief ein. »Nun, dann entschuldigen Sie bitte die Störung, Madame Marra.«
»Ist schon in Ordnung. Ich verstehe, daß Sie diesem Gerücht nachgehen mußten. Ich habe nichts zu entschuldigen. Ihre Vermutung hätte schließlich auch richtig sein können.«
Sie ist richtig! dachte ich, aber ich kann nichts beweisen.
Ich
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