0460 - In der toten Stadt
einer des anderen erbittertesten Konkurrent.
Ein gemeinsames Angriffssignal gab es nicht. Der Vampir, welcher der Haustür am nächsten war, drang ein…
***
In Merlins unsichtbarer Burg war Sara Moon dem Druiden Gryf gefolgt. Als er sein Quartier betrat, in dem er immer dann Wohnrecht hatte, wenn er sich zu Besuch bei Merlin befand, holte sie ihn ein und verhinderte, daß er die Tür hinter sich ins Schloß drückte.
Er achtete nicht darauf, daß sie nach ihm eintrat. Er ließ sich auf die großen weichen Felle sinken, die ihm hier als Ruhelager dienten. Er verschränkte die Hände unter dem Kopf, lag auf dem Rücken und starrte die Zimmerdecke an. Aber ob er wirklich wahrnahm, was er dort sah, war fraglich.
»Du machst dir Vorwürfe?« fragte Sara Moon leise.
Gryf schwieg.
Sie kauerte sich neben ihm nieder und strich mit der Hand über seine Stirn. »Gryf, weshalb? Sicher, wir können nicht helfend eingreifen, wir können nicht einmal beobachten, aber…«
»Aber ich habe ihn umgebracht, damals«, sagte der Druide gezwungen ruhig. »Ich habe ihn getötet. Ich trage die Schuld. Und wenn er jetzt nicht durch deinen Auftrag in jene vertrackte Situation gekommen wäre, hätte ich ihn damals nicht töten können! Verstehst du das nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Gryf. Das will ich nicht verstehen. Sie tauchten damals in der toten Stadt auf, und es geschah, was geschehen mußte. Aber in der Gegenwart leben sie doch! Beide, oder sogar alle drei, wenn wir den Wolf mit einbeziehen. Du bist ihnen später doch wieder begegnet, einige Male! Da lebten sie!«
»Ja! Ohne sich daran zu erinnern, was passierte! Ohne zu wissen, daß ich einen von ihnen ermordet habe! Ich, Sara! Ich habe meinen besten Freund umgebracht. Ich weiß es jetzt wieder. Was ich für einen bösen Traum gehalten habe, für einen Teil meiner Wahnsinnsanfälle - es ist geschehen. Ich bin ein Mörder.«
Er richtete sich mit einem Ruck auf.
»Ich bin ihnen begegnet, das ist richtig«, sagte er. »Aber da waren sie noch nicht in die Vergangenheit geschleudert worden. Das ist erst jetzt geschehen! Und Zamorra kann nun nicht mehr lebend in die Gegenwart zurückkehren. Er ist damals gestorben.«
Sara Moon schluckte. »Dann gib mir die Schuld, nicht dir«, sagte sie.
»Ich gebe dir die Schuld, daß sie in die Vergangenheit mußten. Und ich gebe mir die Schuld, getötet zu haben«, sagte der Druide.
»Es hat schon viele Zeitparadoxa gegeben«, sagte Sara Moon. »Mehr, als die Welt verkraften kann.«
»Was willst du damit sagen?«
Merlins Tochter lächelte.
»Zum einen, daß wir nichts tun können, um die Vergangenheit, an die du dich erinnerst, zu ändern, denn wie Merlin befürchte auch ich, daß ein weiteres Paradoxon das Raum-Zeitgefüge instabil werden läßt. Zum anderen aber, daß nicht alles so ist, wie es uns zunächst erscheint. Erinnerst du dich daran, daß Zamorra schon oft in die Vergangenheit gereist ist? Jedesmal, um dafür zu sorgen, daß ein bestimmtes Ereignis überhaupt erst stattfinden konnte! Eine Art nachträglicher Bestätigung der Geschichte. Auch diesmal mußte es so sein. Es ist alles durch die Vergangenheit vorbestimmt. Der Spruch, nur wer die Vergangenheit kennt, könne die Zukunft formen, kommt nicht ganz von ungefähr.«
»Schwätzerin«, murmelte der Druide.
Sie nahm es ihm nicht übel. Daß sie noch vor kurzem erbitterte Todfeinde gewesen waren, spielte für beide keine Rolle mehr. Das unheilvolle Psychoprogramm, das Sara Moon lange Jahre blockiert und zu einer Schwarzmagierin gemacht hatte, war verdrängt worden, vielleicht sogar ganz ausgelöscht. Auf jeden Fall spielte es keine Rolle mehr. Sie war wieder die, welche sie von Geburt an gewesen war: Merlins Tochter.
»Du magst erzählen, was du willst«, sagte Gryf. »Es ändert nichts daran, daß ich Zamorra ermordet habe.«
Sara erhob sich. »Du bist ein Narr«, sagte sie nüchtern, »wenn du dich deshalb jetzt selbst innerlich zerfleischst. Wenn du einen Vampir pfählst, zeigst du diese Gewissensbisse nicht! Ich habe auch getötet. Aber es geschah außerhalb meiner Kontrolle. Ich habe lernen müssen, damit zu leben. Klagt mich jemand an, werde ich mich zu verantworten haben. Aber dich klagt niemand an, außer dir selbst. Willst du Selbstmord begehen, Gryf?«
Aus geweiteten Augen sah er sie an.
»Es wäre eine Flucht«, sagte sie. »Eine feige Flucht vor Konsequenzen, denen du dich nie wirst stellen müssen, weil du damals keinesfalls du selbst warst.
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