0460 - In der toten Stadt
Du hast Zamorra ermordet? Es war höchstens der Vampir in dir, der es tat, aber niemals du selbst! Wenn du dich also der Feigheit hingeben willst, dann begehe ruhig Selbstmord. Besser wäre es aber, wenn du dich der Wahrheit stellen würdest. Himmel, du bist mehr als acht Jahrtausende alt! Du hast mehr erlebt als jeder andere Mensch sich nur erträumen kann! Und da fehlt dir die Reife, mit einer solchen an sich nur philosophischen Frage fertig zu werden? Gryf, ich verstehe dich nicht. Aber wer versteht schon feige Narren?«
Sie wandte sich ab und verließ das Zimmer, das eigentlich recht gemütlich eingerichtet war, jetzt aber Todeskälte ausstrahlte.
Gryf, der Mörder, fühlte sich darin nicht mehr wohl.
***
Nicole fand keine Zeit, Salems Worte innerlich zu verarbeiten. Hinter ihr wurde die Haustür erneut weit aufgestoßen. Ein Lichtbalken fiel in den dämmerigen Korridor. Fenrir wirbelte herum, jaulte und griff sofort an, stoppte aber nach dem ersten Sprung schon wieder und wich zurück.
Yared Salem schaltete seinen Blaster um und schoß.
Der grelle Lichtfinger durchschlug den vordersten der eindringenden Vampire und setzte den von abgerissener Kleidung umhüllten, zottigen Blutsauger in Brand. Das Vampir-Ungeheuer schrie. Aber andere stießen den Brennenden zur Seite und drängten nach. Fenrir zog sich zurück; der Wolf begriff, daß er gegen diese Menge von Angreifern keine Chance hatte. Er konnte nur mit seinen Zähnen und Krallen kämpfen und war durch seine Wolfsgestalt stark gehandicapt.
Salem feuerte einen Schuß nach dem anderen ab, der jedesmal von dem zwitschernden Pfeiflaut begleitet wurde. Nicole unterstützte ihn. Aber dann drängten zwei Vampire durch eine Zimmertür in den Korridor, und gleichzeitig geriet im Eingangsbereich die Tapete in Brand.
Alt und trocken, brannte der Wandbelag sofort wie Zunder. Die Flammen breiteten sich rasend schnell aus. Innerhalb weniger Sekunden wurde der Korridor zu einer Hitzehölle.
Fenrir hatte Zamorra mit den Zähnen am Kragen der Lederjacke gepackt und versuchte den Reglosen aus dem Gefahrenbereich zu zerren. Aber nicht nur das Feuer, sondern auch die Vampire waren jetzt überall. Sie fielen über Fenrir her, und sie griffen Zamorra und Katia an, die beide praktisch wehrlos waren.
Nicole fragte sich, weshalb das Amulett nicht eingriff. Warum setzte es seine ungeheure Kraft nicht ein? Normalerweise reagierte es doch von selbst auf schwarzmagische Angriffe! Zumindest, indem es ein schützendes Kraftfeld erzeugte, an dem die Angriffe der Gegner abprallten!
Aber hier geschah gar nichts! Es war gerade so, als wäre Merlins Stern völlig abgeschaltet worden. Doch da Zamorra selbst niemals so närrisch sein konnte, war das unmöglich, denn Leonardo deMontagne gab es nicht mehr, der als einziger außer ihnen noch die Möglichkeit besessen hatte.
Daß es seinen Körper noch gab, spielte keine Rolle, denn in dem lebte jetzt der Geist von Magnus Friedensreich Eysenbeiß. Wie das zustandegekommen war, war Nicole ebenso wie Zamorra ein Rätsel, aber sie hatten jetzt anderes zu tun als sich über dieses Phänomen die Köpfe zu zerbrechen.
Die Situation wurde unhaltbar.
Salem schleuderte plötzlich seinen Blaster fort. »Leer!« brüllte er wütend. Das brachte Nicole auf eine Idee. Während Salem sich jetzt mit Fausthieben und Fußtritten verteidigte, fragte sie sich, weshalb er nicht seinen Dhyarra-Kristall einsetzte. War er vielleicht durch den überraschenden Angriff so verbiestert, daß er auf diese rettende Idee überhaupt nicht kam?
Sie selbst aber aktivierte den Dhyarra-Kristall jetzt, der in ihrer Hand blau aufglühte, während sie nach wie vor Schüsse auf die Vampire abfeuerte und Katia und den Wolf unter den wütenden Bestien zu Boden gehen sah. Doch noch bevor sie sich darauf konzentrieren konnte, den Sternenstein zur Abwehr der Bestien einzusetzen, wurde sie von jemandem gepackt, und im nächsten Moment wechselte ihre Umgebung.
Von einem Moment zum anderen fand sie sich auf einer Art Marktplatz wieder, oder was auch immer die Freifläche dargestellt hatte, als diese Stadt noch von Menschen bewohnt war. Neben ihr wirbelte Yared Salem, war verblüfft, daß er plötzlich keine Gegner mehr hatte, und stellte seine Kampfbewegungen abrupt ein.
Nicole sah einen Schatten schräg hinter sich, fuhr herum und erkannte jemanden, der in einem fahlen Aufleuchten verschwand, vorher aber einen reglos in sich zusammensinkenden Mann absetzte, über den zwei Vampire
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