0462 - Der Witwenmacher von New York
Ich konnte ihn nicht einfach dort im Wasser lassen. Er brauchte mich, er brauchte meine Hilfe.
»Vielleicht wirst du ihn eines Tages verhaften«, dachte ich. Meine Hand griff zu dem Rettungsring im Boot. Ich warf ■ ihn zu Ruffioso hinüber. Nur wenige Inches von ihm entfernt fiel er ins Wasser. Der Mann versuchte ein Lächeln. In diesem Augenblick sah er jung und sympathisch aus. Ruffioso glich mir wirklich, als wäre er mein Zwillingsbruder!
Seine Hände umklammerten den Rettungsring. Langsam schwamm er auf das Schlauchboot zu, in dem ich saß. Nur noch wenige Yard trennten ihn vom Boot.
In diesem Moment flogen Fetzen eines verängstigten Weinens an mein Ohr, übertönten für Sekunden den tosenden Lärm der See.
Ich wandte den Kopf und blickte zu dem treibenden, zerfetzten Flugzeugrumpf, der noch schaukelnd auf der Wasseroberfläche schwamm. Dann sah ich das kleine Mädchen, das sich verzweifelt an die Tragfläche des Wracks klammerte. Jeden Augenblick konnte es den Halt verlieren und von den Fluten in die tödliche Tiefe gerissen werden.
Noch ehe ich eingreifen konnte, hatte Ruffioso die Situation blitzschnell erkannt. Er ließ den Rettungsring fahren und schwamm in kräftigen Stößen zum Flugzeug zurück. Die anderen Schlauchboote waren durch die hohe See schon meilenweit abgetrieben worden. Man sah sie kaum noch.
Ruffioso wollte das kleine Mädchen retten. Ruffioso, der neue Mafia-Boß! Dem der Ruf vorausging, zu der ganz harten, brutalen Sorte zu gehören.
Ich ergriff das Paddel, das auf dem Boden des Schlauchboots lag, und arbeitete mich näher an die Maschine heran. Zur gleichen Zeit hatte Ruffioso die Tragfläche erreicht. Schutzbringend streckte sich seine Hand nach dem kleinen Mädchen aus. Ich hörte ihr leises Schluchzen. Dann hatte er sie in die Arme genommen.
Immer näher brachte ich durch die wild schäumenden Wogen das Boot an die Unglücksstelle heran. In diesem Augenblick passierte es.
Ein Wellenbrecher riß die Passagiertür des Flugzeuges wie ein Stück Papier vom Rumpf. Wie ein Ungetüm segelte sie durch die Luft.
Vor Schreck ließ ich das Ruder fallen. Ich sah genau, wohin die schwere Metalltür segelte. Im gleichen Augenblick hörte ich auch schon den wilden Schmerzensschrei Ruffiosos. Er war von der Tür getroffen worden.
An der Stelle, an der er gerade noch im Wasser geschwommen war, färbte es sich rot. Daneben sah ich den blonden Schopf des Mädchens hilfslos in den Wellen treiben.
Sie sind verloren, dachte ich. Im selben Augenblick sprang ich mit einem Satz aus dem Boot. Ich dachte nicht daran, daß ich kaum eine Möglichkeit haben würde, zurückzuschwimmen. Ich hatte nur die beiden Menschen vor Augen, den künftigen Mafia-Boß und das kleine, unschuldige Kind.
Ich tauchte in die salzige Brühe. Mein Körper glitt durch das Wasser. Plötzlich spürten meine Hände etwas Weiches. Das Mädchen!
Ich packte zu, legte mich auf den Rücken und versuchte, den Körper der Kleinen über Wasser zu halten. Aber ich hatte wenig Hoffnung, wieder ans Boot zu kommen. Kaum jemand würde uns beobachtet haben, jeder hatte mit sich selbst genug zu tun.
Es war nicht mein Verdienst, daß ich das Boot wieder erreichte, es war nur einer jener glücklichen Zufälle. Ich spürte ein Tau an meinem Gesicht vorbeigleiten, griff danach und hangelte mich zum Bootsrand. Für einen Augenblick trat ich Wasser. Meine Füße bewegten sich gleichmäßig, und mit einer Hand hielt ich das Mädchen hoch, bis ich es über den Bootsrand werfen konnte.
Mit einer Hand umklammerte ich das Tau weiter. Die andere benutzte ich, um mit kräftigen Stößen zu Ruffioso zu schwimmen. Das Boot zog ich langsam hinter mir her.
Der Gangster trieb hilflos auf der Wasseroberfläche. Er hatte sich auf den Rücken gelegt und bewegte nur mechanisch die Arme.
Schnell war ich bei ihm. Als er mich sah, lächelte er müde. Eine Hand tauchte aus dem Wasser auf und winkte ab. »Laß nur, mich hat die Tür im Magen erwischt. Bei mir gibt es nichts mehr zu retten. Schwimm zum Boot zurück. Versuch die Kleine durchzubringen.«
Das Gesicht des Gangsters sah friedlich aus. Ich begriff mit einem Male die Welt nicht mehr. Was mochte diesen jungen .Mann dazu getrieben haben, Verbrecher zu werden?
»Quatsch«, knurrte ich. »Wirf die Flinte nicht so leicht ins Korn, Ruffioso.« Meine Hände umklammerten seine Schultern, und ich zog ihn zum Boot.
Es ging langsam und war unendlich anstrengend. Zweimal verlor ich den Halt. Aber schließlich
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