0462 - Wo der Orlock haust
zurück. Er hatte jetzt das Fenster im Rücken. Seine Gestalt hob sich vor dem Rechteck ab. »Mara?« fragte er und schüttelte den Kopf. »Verdammt, wir haben hier keine Schülerin namens Mara.«
»Es ist auch ein Mädchen aus dem Ort.«
Er lachte mich an oder aus. »Kommen Sie, Mr. Sinclair, das weiß ich besser. Nein, nein, so gut ist der Kontakt unserer Schülerinnen zu der Dorfjugend nicht. Außerdem müssen die Mädchen eine schriftliche Erlaubnis bekommen, wenn sie Besucher mit in das Schloß bringen wollen. Auch meine Tochter.«
»Vieles geht heimlich.«
»Ich glaube nicht daran. Alexandra hält sich an die Regeln. Das kann ich Ihnen sagen.«
»Wie Sie meinen.«
»Wissen Sie es denn besser, Mr. Sinclair?«
»Eigentlich nicht. Ich lernte Ihre Tochter ja kennen. Sie schien sich mit dieser Mara sehr gut zu verstehen. Das roch mir schon nach einer Freundschaft.«
Dalton schwieg. »Möglich ist natürlich alles«, gab er nach einer Weile zu. »Es wundert mich auch, daß wir Alexandra nicht gesehen haben.« Er drehte sich um und ging wieder auf die Zimmertür zu, vor der Suko gebückt stand und seine Schwierigkeiten mit dem Schloß hatte.
Auch ich wurde durch diese Bewegung abgelenkt und achtete nicht auf die übrige Umgebung.
Deshalb entging mir, daß sich die Paneelwand bewegte. Ein Ausschnitt löste sich plötzlich aus dem Holz. Als wären seine Seiten geölt worden, so lautlos ging dies über die Bühne. Nicht ein Kratzen oder Schaben entstand, und innerhalb der Holzfläche gähnte plötzlich eine dunkle viereckige Öffnung.
Kühle drang hervor.
Von uns merkte niemand etwas, aber in dem Schacht bewegte sich zitternd ein in die Tiefe hängender schmaler Schatten.
Es war das Seil…
Und einen Moment später drückte sich eine düstere, fast kompakte Masse aus dem Schacht kommend durch die Öffnung. Zunächst schob die Gestalt nur den Arm vor.
Eine Hand erschien.
Sie hielt etwas, das an einer Seite leicht glänzte. Wie die Klinge eines Messers.
Wir waren ahnungslos. Ich wurde allmählich ärgerlich und fragte, ob Suko sich ablösen lassen wollte.
»Nein, verflixt.«
»Du kannst doch hier nicht die Nacht herumwerken.«
Er drehte sich herum, um mich ansehen zu können. »John, mach mich nicht irre, verdammt. Ich habe den Job übernommen, ich werde ihn auch beenden.«
»Schon gut.«
»Ja, lassen wir ihn am besten in Ruhe. Lange wird es bestimmt nicht dauern.« Dalton hatte mir eine Hand auf die Schulter gelegt und zog mich in die Mitte des Zimmers hinein.
»Was haben Sie auch für komische Schlösser einbauen lassen.«
Er lachte leise. »Manchmal muß man auf Nummer Sicher gehen, wissen Sie.« Er hob die Schultern. »Wenn wir gleich hier heraus sind, darf ich Sie auf einen Schluck einladen. Den haben wir uns nach dem Schreck verdient. Ich werde zudem sämtliche Schülerinnen zusammenrufen lassen, damit wir sie befragen können.«
»Glauben Sie jetzt an den Orlock?«
»Nein, aber ich will Sie irgendwie beruhigen, Mr. Sinclair.«
Ich verzog den Mund. Einen Moment später aber wurden meine Gesichtszüge starr. Ein kühler Hauch kitzelte meinen Nacken.
Hier war doch nichts offen!
Ich drehte mich um.
Und dann überstürzten sich die Ereignisse…
***
Mara hatte wie eine Wilde an der Klinke gerüttelt und es nicht geschafft, die Tür zu öffnen. Voller Wut trommelte sie jetzt mit beiden Fäusten gegen das Holz. Die dumpf klingenden Echos hallten durch den Videoraum.
Alex trat zu ihr. »Das hat doch keinen Sinn, Mara. Laß es!«
»Ich will aber hier raus!« brüllte Mara. »Verdammt, ich will nicht eingeschlossen sein!«
»Ich auch nicht, Mädchen.«
Mara ließ die Arme sinken und drehte sich um. »Dann tu doch endlich etwas, Alex.«
»Ich habe keinen Schlüssel.«
Mara ging kopfschüttelnd zur Seite und ließ sich auf einen der Kinostühle fallen. »Du bist gut«, flüsterte sie. »Du hast keinen Schlüssel. Weshalb denn nicht? Man geht doch nicht ohne einen Schlüssel in diesen verdammten Keller.«
»Ich schon. Wir alle.«
Das dunkelhaarige Mädchen hob den Blick. »Und weshalb geht ihr ohne Schlüssel in den Keller?«
»Das will ich dir sagen. Weil die Türen nie abgeschlossen sind. Jeder kann kommen und gehen, wann er will.«
»Das habe ich ja gesehen.« Sie senkte den Kopf und fing an zu weinen.
Alexandra hatte die Hände zu Fäusten geballt. Zwar hatte sie sich äußerlich ruhig ihrer Freundin gegenüber gezeigt, doch innerlich kochte es. Auch sie konnte sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher