0462 - Wo der Orlock haust
vorsichtig um. Außer ihnen beiden hielt sich niemand mehr im Raum auf. Keine dritte Gestalt, die einen so großen Schatten hätte werfen können. An der Decke war ebenfalls nichts zu sehen. Mara wischte mit dem Zeigefinger einen leichten Schweißfilm von ihrer Oberlippe. »Ich habe einen schlimmen Verdacht!« flüsterte sie. »Sogar einen sehr bösen. Wir werden von einem Toten verfolgt, Alex. Der hat den Schatten geworfen, ein Toter.«
Alex stemmte ihre Hände auf die Rückenlehne. »Denkst du vielleicht an den Orlock?«
»Ja!«
Alexandra Dalton holte tief Luft, bevor sie den Kopf schüttelte.
»Das ist unmöglich, Orlock ist tot.«
»Ich glaube nicht daran.«
Ihre Freundin hob die Schultern. »Herrlich, Mara, mit einem Schatten kann man nicht viel anfangen, das mußt du einsehen. Wir brauchen Beweise, richtige Beweise.«
»Lieber nicht.«
»Ich kann deine Erregung verstehen, auch mir ist komisch geworden. Okay, lassen wir den Film.«
»Ich will auch keinen anderen sehen.«
»Sondern?«
»Alex, ich möchte hier raus. Ich will auch nicht mehr im Schloß bleiben, so leid es mir für dich tut. Ich möchte weg. Nach Hause, in mein komisches Dorf, in mein Bett, verstehst du?«
»Ja, Mara, das ist klar.«
»Und du hast nichts dagegen?«
»Wie sollte ich? Du bist doch keine Gefangene.«
Mara hob die Schultern. »Den Film können wir uns ja ein anderes Mal anschauen, wenn die Sache mit dem Schatten geklärt ist. Solange das noch in der Schwebe ist, fühle ich mich zu sehr bedroht. Da bekomme ich Beklemmungen.«
Alex drehte sich um. Sie ging zur Tür, und Mara folgte ihr. Plötzlich versteifte sich Alexandras Körper. Ein paarmal rappelte sie an der Klinke, und Mara kam ein schrecklicher Verdacht.
»Was ist denn?«
Ihre Freundin drehte sich um. »Das kann ich dir sagen. Es ist abgeschlossen!«
Mara stand da und schaute zu Boden. Sie mußte erst darüber nachdenken. Nach einer Weile fragte sie: »Heißt das etwa, daß wir hier nicht mehr rauskommen?«
»So ist es, wir sind gefangen, und einen zweiten Ausgang gibt es leider nicht.«
Mara wurde plötzlich schwindlig…
***
»Ich weiß überhaupt nicht, was Sie am Zimmer meiner Tochter interessiert«, sagte Kenneth Dalton. »Ich habe es versucht. Sie ist überall, nur nicht in ihren eigenen vier Wänden.«
»Das haben Sie uns schon mal gesagt, Mr. Dalton, aber wir müssen mit Alexandra reden.«
»Aber wenn sie nicht da ist.«
»Könnten wir warten. Oder bleibt sie die gesamte Nacht über weg? Ist das vielleicht üblich?«
»Wohin sollte sie denn?« Daltons Frage klang fast ärgerlich.
»Immerhin ist im Ort etwas los.«
Er winkte ab. »Unsere Schülerinnen gehen nicht nach Trevose, auch nicht am Wochenende oder bei Festen. Viele sind sowieso zu ihren Eltern oder Freunden gefahren.«
»Aber Ihre Tochter machte eine Ausnahme«, bemerkte ich.
»Ja, sie wohnt schließlich länger hier und möchte auch einen entsprechenden Kontakt haben. Für die anderen ist dieses Schloß nicht mehr als eine Durchgangsstation.«
Ich nickte. »Gut, wenn wir Alexandra nicht hier finden, sollten wir sie woanders suchen. Hatten Sie nicht vom Keller berichtet, wo man sich so ausgezeichnet erholen kann?«
»Das hatte ich.«
»Gehen wir hin?«
Daltron zögerte noch. »Ich weiß nicht. Wenn Sie mich fragen, werden wir sie da auch nicht finden.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Fragen wir mal die anderen Schülerinnen. Eigentlich hätten wir uns auch an Miß Hastings wenden können. Sie ist der Typ, der sonst immer alles weiß.«
»Bitte.«
Ich drehte mich zur Tür um. Dalton stand noch mit dem Rücken dazu. Er konnte nicht sehen, daß sich die Tür plötzlich in Bewegung setzte und zukrachte.
Erst als dies geschehen war, zuckte er zusammen, starrte die Tür an und wurde bleich.
Ich war an ihm vorbei, drückte die Klinke nach unten und schüttelte den Kopf. »Verdammt, abgeschlossen.« Scharf drehte ich mich um. »Sagen Sie mal, Mr. Dalton, muß man in diesem Bau des öfteren mit solch seltsamen Scherzen rechnen?«
»Scherz ist gut.« Er grinste schief. »Die Schülerinnen kommen manchmal auf die verrücktesten Ideen. Sie haben schon mal alle Schlüssel versteckt und so etwas.«
»Nein. Unsinn.«
»Dann werden wir ja eine Chance haben.«
Sicherheitshalber klopfte Dalton gegen die Tür. Wir standen im Gang und warteten.
Das Schloß war eigentlich völlig normal. Ich sah es nicht einmal als gruseligen Ort an. Überall brannte Licht, alles war perfekt renoviert worden,
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