0462 - Wo der Orlock haust
jemand das Schlüsselloch verstopft. Wahrscheinlich mit einer harten Kunststoffmasse. Ich kam nicht mehr durch.«
»Wenn es bei diesem Zimmer so ist, können wir davon ausgehen, daß die anderen Türen auch nicht verschont geblieben sind!« resümierte ich und ließ die Hand mit dem Taschentuch sinken. Im Düstern sah ich den großen dunklen Fleck im Taschentuch, der fast die Hälfte der gesamten Stofffläche einnahm. Mit den Fingerspitzen fühlte ich nach und ertastete sogar die Hautlappen. Da würde sicherlich eine Narbe zurückbleiben, wenn die Wunde mal verheilt war.
Suko hatte meine Bewegung gesehen. »Blutest du noch?«
»Nicht mehr so stark.«
»Das Messer hätte deine Kehle treffen sollen.«
»So hat es der Orlock sicherlich vorgehabt.«
»Und was willst du jetzt tun?«
»Nichts, gar nichts. Vielleicht springe ich aus dem Fenster.«
»Erzähle doch keinen Unsinn, John. Wir müssen hier raus. Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, nehmen wir eben das Fenster.«
»Woher ist der Orlock gekommen?«
»Das finden wir schon noch.« Suko erhob sich. Er hielt sich auf den Beinen, auch wenn er etwas schwankend stand. »Wo, hast du gesagt, ist er hergekommen?«
Ich wies auf die dunkle Wand. »Aus dieser Richtung.« Da ich meinen Freund nicht allein nachforschen lassen wollte, verließ auch ich meinen Platz und ging zu ihm.
Gemeinsam begaben wir uns daran, die Wand zu untersuchen. Im Licht der Lampen suchten wir nach einem Mechanismus, der dafür sorgte, daß sich eine bestimmte Stelle in der Breite öffnen ließ, so daß wir uns hindurchschieben konnten.
Das gelang uns nicht. Auch als wir die Wand anleuchteten, sahen wir keinen Knopf oder Hebel, den man drücken mußte.
»Ob sich das Ding nur von der Innenseite öffnen läßt?« fragte Suko.
»Möglich.«
Wir forschten trotzdem weiter und hatten auf einmal Glück. Suko war es, der einen bestimmten Ausschnitt berührte, einen überraschten Laut von sich gab und einen halben Schritt zurückging.
Im gebündelten Licht der Lampenstrahlen schauten wir zu, wie ein Rechteck allmählich um die eigene Achse kippte und einen so großen Hohlraum freigab, daß sich ein Erwachsener hindurchschieben konnte.
Das hätte auch der Orlock geschafft.
Ich nickte Suko zu. »Da hast du den Weg.«
Mein Freund beugte sich vor. Er atmete die alte, muffige, nach Staub und auch nach Feuchtigkeit riechende Luft ein, die aus dem Schacht in die Höhe drang.
»Der ist verdammt tief«, sagte er und leuchtete gegen ein Seil, das den Schacht durchlief und leicht zitterte. Dann bewegte er die Hand und strahlte in die Tiefe.
»Was siehst du?«
»Nichts. Der Schacht endet im Leeren.«
»Dann reicht er bis in den Keller.«
»Genau.«
Ich verzog den Mund. Dabei schmerzte meine verletzte Wange.
»Und wir rutschen hinab?«
»Du ja, ich nicht. Es ist mir einfach zu riskant, John, wir müssen einen anderen Weg nehmen. Stell dir mal vor, wir hängen am Seil, und da kommt jemand, der es kappt.«
»Dann gute Nacht.«
»Eben.«
Suko ließ die Klappe offen, als er sich wieder zurückzog. Ich ging bereits auf das Fenster zu. Es besaß einen altmodischen Holzgriff, der etwas klemmte, als ich ihn herumdrehen wollte. Mit einem Kraftaufwand gelang es mir schließlich. Einen Flügel zog ich auf und beugte mich hinaus.
Es war kalt geworden. Die Temperaturen bewegten sich schon verdächtig nahe an der Gefrierpunktgrenze. Der Wind blies auch in meine Gesichtswunde. Sie biß noch stärker.
Mein Blick fiel bis nach Trevose. Das Dorf lag nicht sehr weit entfernt, trotzdem kam es mir vor, als läge es in einer anderen Welt.
Das Feuer war zusammengefallen. Letzte Reste glühten noch. Sie kamen mir vor wie ein großes, am Boden liegendes, leuchtendes Drachenauge.
Von der Schloßwand konnte ich nicht viel erkennen, weil es einfach zu dunkel war. Deshalb leuchtete ich nach und war einigermaßen beruhigt, weil es doch einen Sims gab und auch einige Vorsprünge, wo wir Halt finden konnten.
»Wie sieht es aus?« fragte Suko.
»Relativ gut.«
»Das heißt, wir können Bergsteiger spielen.«
»So ähnlich.«
»Willst du ganz runter?«
»Eigentlich ja. Ich weiß ja nicht, ob alle Türen verschlossen sind.«
»Dann wäre es die Eingangstür auch.«
»Verdammt, hier muß doch jemand im Schloß sein. Ich verstehe das einfach nicht.«
»Okay, klettere vor.«
»Ja.« Ein Bein hob ich an und stellte es auf das innere Fensterbrett.
Am Mittelrahmen hielt ich mich fest, ging sehr vorsichtig zu Werke und
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