0462 - Wo der Orlock haust
schwang auch das andere Bein hoch, so daß ich mit dem Fuß außen auf der Bank Halt fand.
Von unten sah es so aus, als würden die Fenster dicht beisammenliegen. Jetzt stellte ich fest, daß der Raum zwischen ihnen beträchtlich war. Ein Wind zerrte an meiner Kleidung, während ich mich praktisch durch die Fensteröffnung drehte und außen auf der Bank stand.
Der kleine Vorsprung lag eine halbe Beinlänge unter mir. Ich machte mein Bein lang, erreichte die Stelle mit dem Fuß, verlagerte mein Gewicht darauf, hörte das Knirschen, und noch im gleichen Augenblick brach der verdammte Stein ab…
***
»Eine Tote…« Mara hatte die beiden Worte gehaucht und sich dann geschüttelt.
Die Mädchen standen noch immer wie festgewachsen vor dem Pool. Sie hielten sich umklammert, als könnten sie sich gegenseitig Schutz und Wärme geben.
»Ja, die Hastings…«
»Wer ist das?«
»Unsere Gouvernante. Sie paßt auf oder sollte aufpassen. Das ist natürlich Unsinn.«
Mara wußte selbst nicht, woher sie den Mut nahm, noch näher an das Becken heranzutreten. Sie starrte auf die sich leicht kräuselnde Wasserfläche. Das Wellenmuster verzerrte die leblose Gestalt noch mehr und ließ sie schauriger aussehen.
Das Gesicht war eine verzerrte Totenfratze. Sogar den Hals konnte Mara erkennen. Aus ihm floß Blut.
Schaudernd drehte sie sich um. »Weißt du, was er mit ihr getan hat?«
»Ich will es nicht wissen«, erwiderte Alexandra leise.
»Doch!« schrie Mara, »das mußt du aber!« Sie umfaßte Alexandras Schulter und schüttelte sie durch. »Du mußt es, verdammt. Er hat ihr… er hat ihr die Kehle durchgeschnitten, dieser Mörder. Diese verfluchte Bestie hat sie auf so grausame Art und Weise umgebracht.« Ihre Augen wurden starr. »Und wir, weißt du, wir werden das gleiche Schicksal erleben, wenn es uns nicht gelingt, aus dieser verfluchten Burg zu verschwinden. Wir müssen raus!«
Alex nickte. »Ja, ja…«
Mara ließ die Freundin los. Sie sagte nichts mehr, drehte sich um und hetzte mit Riesenschritten auf die Fahrstuhltür zu. Die Leiste befand sich an der Wand. Aus den Sensortasten schienen Augen geworden zu sein, die sie höhnisch anblickten. Mara drückte in fiebernder Hast den zweituntersten Knopf. Sie brauchte ihn nur kurz anzutippen, doch in ihrer Panik preßte sie die Spitze des Zeigefingers darauf.
Es verging Zeit…
»Komm, komm!« sagte sie mit keuchender Stimme. »Verdammt, komm endlich! So lange kann es doch nicht dauern.«
Der Lift kam auch dann nicht, als Alexandra neben ihr stand und einen Kommentar gab. »Er wird gesperrt sein.«
»Wie?«
»Er kann nicht kommen. Jemand hat ihn außer Betrieb gesetzt, Mara.«
»Das… das sagst du doch nur so – oder?«
»Nein, es entspricht den Tatsachen. Ich glabe fest daran, daß ihn einer gestoppt hat. Wir haben keine Chance. Du kannst alle Knöpfe drücken, es wird sich nichts tun.«
Mara geriet wieder in Panik. Sie schlug mit der flachen Hand gegen die Sensorleiste, aber auch so schaffte sie es nicht, den Lift in den Keller zu holen.
Das Mädchen fiel gegen die Türe. Beide Hände preßte sie gegen das kühle Metall und einen Moment später auch ihre erhitzte Stirn.
»Bitte«, flüsterte sie. »Bitte…« Verzweifelt sank sie auf die Knie.
Alexandra Dalton schaute auf sie nieder. Auch sie war völlig durcheinander. Die Angst hielt sie in den Klauen. Mara wollte nicht aufstehen, so mußte sie von ihrer Freundin hochgezogen werden.
»Wir müssen gehen, Mara!«
»Wohin denn?« schrie sie und warf sich gegen Alex. »Zu dieser Fete? Du siehst doch, es ist niemand gekommen. Sie haben uns allein gelassen. Allein mit diesem Killer.«
»Ich kenne noch einen zweiten Ausgang.«
Zuerst reagierte Mara nicht, dann versteifte sie ihren Körper und hob den Kopf. »Was hast du gesagt? Du kennst noch einen zweiten Ausgang? Stimmt das?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
Das Gesicht des Mädchens wurde starr, bevor es die Antwort gab.
»Es ist ein alter Stollen. Man hat ihn angelegt, als die Burg gebaut wurde. Es gelang mir einmal, einen Blick in die Skizzen zu werfen, als die Burg umgebaut wurde. Da habe ich auch den alten Stollen gesehen. Wenn mich nicht alles täuscht, führt er sogar ins Freie.«
Mara stöhnte auf. »Gibt es den denn wirklich?«
»Wir werden ihn finden.«
»Und wo müssen wir suchen?«
»Hier in der Halle.«
Mara blickte nach oben. Sie sah über sich die halbrunde Decke, dann die Wände, die ihr so schrecklich dicht vorkamen. Da gab es kein
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