0463 - Der Leopardenmann
wenigstens anzusprechen und ihm einen guten Abend zu wünschen.
Einem Leoparden? Du bist ja irre, Tif! schalt sie sich im nächsten Moment.
Ja, sie mußte den Verstand verloren haben. Leoparden, die aufrecht auf den Hinterbeinen herumliefen, gab's höchstens im Zirkus, aber nicht in der freien Wildbahn.
War sie einer Halluzination erlegen?
Aber sie war doch weder betrunken, noch nahm sie irgend welche Drogen zu sich! Sie war bei klarem Verstand und hatte ein Wesen gesehen, das es einfach nicht geben konnte.
Den Gedanken, einen Menschen vor sich gehabt zu haben, einen Eingeborenen aus einem benachbarten Dorf, der einer Art Leopardenkult angehörte und sich deshalb das Fell einer gefleckten Großkatze einschließlich präpariertem Schädel übergezogen hatte, verwarf sie ganz schnell wieder. Der schaukelnde Gang paßte nicht dazu. Der paßte wirklich nur zu einer Katze, die auf den Hinterbeinen ging, weil sie eigentlich nur mit den Zehen den Boden berührte, das Fußgelenk der nicht unbeträchtlichen Länge der Mittelfußknochen wegen aber viel näher angesiedelt war und wie ein zweites, gegenläufig arbeitendes Knie funktionierte.
Diese schaukelnde Katzen-Gangart konnte kein Mensch nachahmen, und wenn er sich noch so sehr anstrengte.
»Aber aufrecht gehende Leoparden - die gibt's nicht!« versuchte Tiffany sich selbst begreiflich zu machen.
Und warum hatte dieses Wesen ihr solche Angst eingeflößt?
Im Zoo und im Zirkus hatte sie schon oft die Tiere studiert, die sie in freier Wildbahn in ihren Urlaubsländern nicht zu sehen bekam, weil ihr das Risiko einer Begegnung mit einem Löwen oder einem Krokodil doch zu groß war. Aber Angst hatte sie vor diesen Tieren nie empfunden. Sie hatte nicht einmal Angst verspürt, als ihr ein einziges Mal doch ein wildes Tier über den Weg gelaufen war - ausgerechnet ein Nashorn! Das war in Kenia gewesen. Geglaubt hatte ihr es später niemand. Nashörner mieden die Nähe der Zivilisation und hielten sich von den Städten der Menschen fern.
»Vielleicht hat es diesem Tier niemand gesagt, welches Verhaltensmuster es nach menschlichen Maßstäben zu zeigen hat«, hatte Tiffany später spöttisch bemerkt und sich damit die Sympathien ihrer Hotelmitbewohner erst recht verscherzt. Ihr war es egal gewesen. Sie wußte, was sie erlebt hatte, nur zwei oder drei Kilometer von der Großstadt entfernt.
Hier aber, bei dieser seltsamen Begegnung, hatte sie panische Angst gespürt und weglaufen wollen! Dabei wußte sie, daß das Weglaufen bei Raubtieren erst recht den Jagdreflex auslöst. Was sich nicht rührt, ist uninteressant, aber was sich bewegt, ist Beute - je schneller, desto wohlschmeckender.
»Habe ich wirklich eine Zweibeinerkatze gesehen?« stieß sie hervor und fragte sich, warum sie ihre Taschenlampe nicht eingesetzt hatte, die sie an einer Lederschlaufe am Handgelenk trug.
Zufällig fiel ihr Blick nach unten auf den Weg, der aus grauer, festgestampfter Erde bestand, und darüber ebenfalls grauer Splitt locker verstreut. Warum man sich diese Mühe gegeben und auch die Kosten für die Splittverteilung auf sich genommen hatte, war ihr unklar.
Aber in diesem Splitt hatte das Wesen Spuren hinterlassen.
Fußabdrücke.
Die waren schwarz. Tiefschwarz, als handele es sich um Wasserflecke. Aber im Licht der Taschenlampe, die Tiffany jetzt endlich benutzte, war keine Nässe zu erkennen. Die Abdrücke waren völlig trocken.
Sie ging in die Hocke, wollte die Abdrücke mit den Fingern berühren und zuckte im letzten Moment wieder zurück. Was, wenn die Füße - die Pfoten! - dieses Wesens ein Sekret hinterlassen hatten, das ätzend wirkte und deshalb den Splitt schwarz verfärbte?
Tiffany richtete sich wieder auf und scharrte mit der Spitze ihres Turnschuhs. Der schwarz verfärbte Splitt rutschte unter dem Druck zur Seite. Da glaubte Tiffany ihren Augen nicht zu trauen.
Das Licht ihrer Taschenlampe verriet ihr, daß die kantigen Splittkörner im gleichen Augenblick ihre Schwarzfärbung verloren und wieder grau wurden, als sie den Rand des Pfotenabdrucks verließen.
Das festgestampfte Erdreich darunter war statt dessen schwarz.
Ringsum war es grau, als Tiffany weiter scharrte und mehr festen Boden freilegte. Sie versuchte jetzt auch, die obere Erdschicht zu lockern und wegzuschieben.
Hier zeigte sich derselbe Effekt!
Gelockerte trockene Erde wurde wieder grau, sobald sie den Rand des Abdrucks verließ!
Als die losgescharrte Erde dann endlich schwarz blieb, lag es daran, daß
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