0466 - Straße der toten Männer
hilflos blickte sie ihn an.
»Steh auf!« befahl er.
»Du kannst nicht hierbleiben, King«, flüsterte sie. »Du begehst einen riesigen Fehler«
Er lachte trocken.
»Doch«, sagte sie und bewies wiederum, daß sie über eine ausgeprägte Allgemeinbildung verfügte, »du begehst den Fehler aller Verbrecher: Du bist an den Tatort zurückgekommen.«
»Da du nicht mehr plaudern wirst, Goldstück«, sagte er kalt, »kann ich dir es ja sagen: So viele Bullen gibt es kaum, um an allen meinen Tatorten auf mich zu warten.«
»Du bist verrückt«, stammelte sie. »Früher warst du nur gemein, heute bist du verrückt.«
»Mag sein«, erwiderte er.
Maureen erhob sich langsam, die Augen ängstlich auf die Pistole gerichtet. Als sie stand, ging sie langsam rückwärts, so, als könne sie der Reichweite der Waffe entgehen.
Wastling merkte es.
»Bleib stehen!« befahl er.
Sie gehorchte sofort.
Wieder glitten die Blicke des Mannes über das Mädchen. So, als sei es ihr unangenehm, zog sie ihren dünnen Morgenmantel über der Brust zusammen.
»Du hast eine Chance, Maureen«, sagte er, und seine Stimme war plötzlich verändert.
Jetzt mußte sie lachen.
»Ich hab die Zeitungen gelesen, King!«
»Was steht denn dort? Kennt mich jemand? Gibt es irgendeine Spur?«
Er hat recht, dachte sie schnell. Eine kleine Hoffnung keimte Wieder in ihr auf.
»Nein, sie tappen im dunkeln«, erwiderte sie wahrheitsgemäß.
»Du bist der einzige Zeuge gegen mich«, stellte er sachlich fest. »Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder du stehst auf meiner Seite, was du bestimmt nicht bereuen wirst. Ich habe viel Geld und große Pläne. Oder aber ich werde dafür sorgen, daß du schweigst.«
Seine Pistole unterstrich die Bedeutung seiner Worte.
»Also?« fragte er lauernd.
»Natürlich mache ich mit, wenn du Geld hast.«
»Aha, das Geld…«
»Quatsch!« unterbrach sie ihn. »Mir geht es nicht ums Geld, aber für dich ist es wichtig. Nur mit Geld hast du Chancen.«
»Du bist ein kluges Kind«, lobte er. »Und jetzt hilf mir mal aus dem Mantel. Ich habe leider eine kleine Verletzung an der rechten Hand.«
Sofort wußte Maureen Harper jetzt auch, wer auf den Arzt in der Amsterdam Avenue geschossen hatte.
Zögernd kam sie näher.
Bruno Wastling drehte sich etwas zur Seite, um sich aus dem Mantel helfen zu lassen.
»Mach keine Dummheiten!« mahnte er.
Er spürte die Hand des Girls an seinem Mantelkragen.
»Sei vorsichtig mit deiner Hand!« sagte sie.
»Ja, die…«
Mehr konnte Bruno Wastling nicht sagen.
Maureen Harper hatte mit einem blitzschnellen Griff eine noch geschlossene Whiskyflasche von der Hausbar genommen und sie dem Verbrecher mit aller Wucht, die sie aufbringen konnte, auf den Kopf geschlagen.
Mit einem klagenden Ton brach Wastling zusammen. Die Pistole entglitt seiner Hand.
Die Harper trat mit ihrem zierlichen Pantöffelchen gegen die Waffe, die unter die breite Liege rutschte. In diesem Augenblick klingelte es.
Maureen warf einen Blick auf den Verbrecher, sah, daß er das Bewußtsein völlig verloren hatte und daß eine schmale Blutspur über seine Stirn rann.
Bei dieser Sachlage schien ihr auf dem Weg zur Tür nicht einmal sonderliche Eile notwendig. Sie machte die Tür auf, und ein strahlendes Lächeln huschte über ihre Züge, als sie die fünf Stadtpolizisten sah.
»Sie kommen wie gerufen, meine Herren!« sagte sie freundlich.
»So?« fragte der tiefe Baß des Gangsters Everett N. Lucas.
***
In den blendsicheren Scheiben unseres Büros spiegelten sich die Scheinwerfer der Fahrzeuge, die sich unten durch die östliche 69. schoben, und auf unseren beiden Schreibtischen dampfte je eine Tasse heißen Kaffees aus der Kantine.
Der Chef war vor einer Stunde aus irgendwelchen Gründen nach Washington beordert worden und hatte jetzt sicher Gelegenheit, irgendwo zwischen New York und der Hauptstadt in einem gemütlichen Flugzeugsessel auszuruhen.
Die Männer, die für mich als Sonderkommission bereitgestellt waren, warteten in ihren Büros auf meine Befehle; zur Stadtpolizei und zur States Police führte jeweils ein heißer Draht: Die Zentrale hielt je eine Leitung für mich frei.
Ich aber saß, zusammen mit Phil, im Office und rührte im Kaffee.
»Neun Millimeter Parabellum, nicht registriert«, dachte Phil laut vor sich hin. Er hatte das erste Ergebnis der Untersuchung des Mordversuchs in der Arztpraxis vorliegen.
»Jerry, wir können doch, ohne weitere Beweise für die Täterschaft unseres Mannes aus
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