0472 - Monsterrache
bis zum Mundstück vorzutasten. Sie fanden den Schlauch, umklammerten ihn und rissen daran.
Bealer preßte die Lippen zusammen. Er wollte den Tod so lange hinauszögern wie möglich. Vielleicht bekam er noch eine Chance, dem Grauen zu entwischen, doch es war vergeblich.
Die Kräfte des Unheimlichen erlahmten nicht. Sie nahmen noch an Stärke zu.
Unter Wasser spielte sich ein stummer, verbissener, lautloser Kampf ab, den der Mensch einfach nicht gewinnen konnte. Eine Klaue riß die Sichtmaske von seinem Gesicht ab, faßte auch gleichzeitig nach dem Atemschlauch, und das Mundstück öffnete die Lippen des Mannes von innen her, als es hervorgezogen wurde.
Bealer hatte die Augen weit aufgerissen. Wie den Schatten einer Schlange sah er das Mundstück und den daran hängenden Schlauch vor seinem Gesicht tanzen.
Dahinter einen großen, gelben Fleck, der sein gesamtes Gesichtsfeld einnahm.
Das Monstrum!
Ein Untier, aus der Tiefe, ein Killer, vielleicht Fisch, vielleicht Mensch. So etwas wie in Loch Ness vielleicht.
Wasser war in Bealers Mund gedrungen. Er schluckte es automatisch, aber er brauchte Luft.
Da erwischte ihn der Schmerz. So schlimm, wie er ihn nie zuvor erlebt hatte. Es gab keine Stelle am Körper, die nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde, vom Hinterkopf bis hin zu den Füßen wütete er und verzehrte einfach alles.
Auch sein Leben…
Bealer starb und bekam nicht mehr mit, was das Monstrum noch alles mit ihm anstellte.
Durch die Tiefe der See trieb ein Wesen, das einmal ein Mensch gewesen war.
Der unheimliche Mörder aber verschwand. Er hatte bereits sein zweites Opfer gefunden.
Jeder, der sich dem Schiff näherte, sollte sein Leben verlieren. So leicht konnte der Fluch nicht gelöscht werden…
***
Das Gesicht des Mannes, grau wie Granit, hatte einen anderen Farbton bekommen. Eine gewisse Bleiche schlich sich in die graue Farbe ein. Sie sah aus wie ein Schatten, deshalb wirkten die Augen noch dunkler.
Der Mann stand neben dem Toten und starrte ihn an. Daß die Leiche einmal ein Mensch gewesen war, konnte er gerade noch erkennen, obwohl das Wasser den Körper bereits gezeichnet hatte. Er wirkte aufgedunsen, fast ballonartig. Die Augen waren aus den Höhlen gequollen, der Mund wirkte wie ein schiefsitzendes Maul, aus dem Finger und Tang hervorstachen, als hätte man dieses nachträglich hineingestopft. Die Finger gehörten zur rechten Hand des Toten, die abgerissen worden war.
»Sie kennen den Mann, Mr. Costello?«
Logan Costello, das Granitgesicht und mächtiger Mafiachef, drehte sich zum Sprecher hin um.
»Sollte ich ihn kennen, Mister?«
Der junge Polizeioffizier nickte. Er hatte Mühe, dem Blick des Mafioso standzuhalten. Noch nie hatte er so kalte, grausame Augen gesehen. »Ja, das sollten Sie.«
»Weshalb?«
»In seiner Kleidung fanden wir einen Hinweis auf Sie.«
»Auf mich persönlich?«
»Nein, aber die Telefonnummer wies auf Ihre Firma hin, Mr. Costello, wenn Sie verstehen.«
»Ich verstehe nichts.«
»Kannten Sie den Mann also?«
Costello ging einen Schritt zurück. Seine Gesichtsfarbe veränderte sich dabei nicht. Das kalte Licht im Leichenschauhaus erreichte jeden Winkel und jeden Fußbreit Boden. »Ich kenne ihn nicht.«
Der Beamte preßte die Lippen zusammen. Er glaubte Costello nicht, konnte dies aber nicht sagen und nickte.
»Kann ich gehen?« fragte Costello.
»Selbstverständlich. Dem steht nichts im Weg. Wollen Sie sich den Toten nicht noch einmal genauer anschauen?«
»Nein!«
Es war eine knallhart gesprochene Antwort, die Costello gegeben hatte, und sie hatte endgültig geklungen. Costello kümmerte sich nicht mehr um den Polizisten. Mit festen Schritten ging er zum Ausgang. Er wirkte manchmal ein wenig wie der leider viel zu früh verstorbene Schauspieler Jean Gabin. Besonders in diesen Augenblicken, wo er seine Hände in die Außentaschen des offenen Mantels vergraben hatte und mit zielsicheren Schritten dem Ausgang entgegenging.
Wer ihm begegnet wäre und ihn angeschaut hätte, dem wäre es nicht möglich gewesen, die Gedanken des Mannes zu erraten, die sich hinter der breiten Stirn abspielten.
In Costello kochte es. Er war sauer, aufgeputscht. Er kam sich vor wie ein Vulkan, in dessen Tiefe es brodelte. Natürlich hatte er den Mann gekannt, sehr gut sogar. Schließlich hatte Bealer von ihm persönlich den Auftrag bekommen, das versunkene Schiff und dessen Ladung zu suchen. Er konnte nicht begreifen, daß der Taucher umgebracht worden war, und er fragte
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