0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl
heißt Herb Hutchlay. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nein, gar nichts«, meinte Finch und schüttelte den Kopf. »Bei mir hat er sich nicht blicken lassen, Sir. Das kann ich beschwören.«
»Danke, Sie können gehen.«
Hutchlays Brieftasche enthielt neben einhundertdreißig Dollar einen Führerschein, ein benutztes Kinoticket und ein paar Briefmarken. Außerdem war ein Foto darin, ein typisches Amateurbildchen mit etwas verschwommenen Konturen. Das Mädchen, das darauf abgebildet war, trug einen Bikini. Sie war blond, schlank und recht hübsch. Auf der Rückseite des Fotos stand: Für Herb von Dolly.
Brunch'hielt Commers das Bild unter die Nase. Er warf einen mürrischen Blick darauf und zuckte die Schultern. Er sah beleidigt aus. Seine Hände steckten jetzt in Handschellen.
Ich notierte mir Hutchlays Personalien, beantwortete noch einige Fragen, die der Lieutenant stellte, und fuhr dann zurück zur Dienststelle. Eine Auskunft beim Archiv ergab, daß Hutchlay mehrfach vorbestraft gewesen war. Er hatte an zwei bewaffneten Raubüberfällen teilgenommen und einige Scheckbetrügereien verübt. Die letzte Strafe hatte er vor drei Jahren abgesessen. Seit dieser Zeit war er nicht mehr aktenkundig geworden.
Er war entweder besonders raffiniert vorgegangen, oder er hatte sich einer Gang angeschlossen. Ich tippte auf letzteres.
Das Telefon klingelte. Brunch war an der Strippe. »Interessante Neuigkeiten für Sie«, sagte er. »In Commers’ Medikamentenschrank haben wir acht Röhrchen Sardonin gefunden — in der handelsüblichen ABC-Packung. Noch etwas. Wir haben die Hotelgäste unter die Lupe genommen. Drei von den sieben Stammietern nehmen Rauschgift. Sardonin. Commers hat sie beliefert.«
»Wer hat ihm das Zeug geliefert?«
»Commers macht den Mund nicht auf. Aber wir kriegen ihn schon noch weich.«
»Viel Erfolg«, sagte ich und hängte auf.
Ich wußte inzwischen, daß Hutchlay verheiratet gewesen war. Seine Frau hieß Dolores. Vermutlich war sie mit der Dolly identisch, die ich auf dem Foto gesehen hatte. Die Hutchlays bewohnten ein Apartment in der Court Street. Es war, wie ich eine halbe Stunde später feststellte, ein brandneues Gebäude in der üblichen sterilen Stahl- und Betonbauweise mit einem Baldachin vor dem Eingang und einem livrierten Portier an der Drehtür. Für Brooklyn war das eine ganze Menge.
Ich drückte dem Portier einen Dollar in die Hand und fragte, ob er die Hutchlays kenne.
»Sehr, sehr flüchtig«, erwiderte er. »Sie wohnen erst seit ein paar Wochen hier.«
Möglicherweise wußte er wirklich nicht mehr, aber ich hatte eher das Gefühl, daß er nicht über die beiden Hutchlays sprechen wollte. Er starrte grimmig an mir vorbei und fixierte meinen roten Jaguar, den ich in der Nähe des Hauseingangs geparkt hatte. Vielleicht hielt mich der Portier für einen Big Shot, und vielleicht war er der Ansicht, daß Jaguarfahrer zu höheren Trinkgeldern verpflichtet seien. Ich zuckte die Schultern und ging an ihm vorbei in die Halle. Der Lift brachte mich ins vierte Stockwerk. Dort entdeckte ich die knallrot lackierte Apartmenttür der Hutchlays. Ich klingelte und wartete. Nichts geschah. Ich klingelte ein zweites Mal. Dann hörte ich den Schrei. Er kam aus dem Wohnungsinnern.
Es war der Schrei einer Frau.
Danach war Stille.
Ich klingelte Sturm, aber nichts regte sich. Sekunden später vernahm ich einen dumpfen Fall. Ich klingelte erneut. Vergebens, niemand öffnete.
Ich fuhr mit dem Lift nach unten. Der Portier hatte seinen Platz verlassen. Ich fand ihn schließlich in der zu ebener Erde gelegenen Hausmeisterwohnung. Der Portier und der Hausmeister tranken Kaffee. Der Portier sah nicht sehr glücklich aus, als ich ihm meinen Ausweis zeigte und kurz erklärte, was ich im vierten Stock gehört hatte.
»Einen Schrei?« fragte er. »Aus dem Apartment der Hutchlays? Das kann ich mir nicht denken.«
»Ihre Zweifel ändern nichts an der Situation. Haben Sie einen Zweitschlüssel für die Wohnung?«
»Ja«, sagte der Hausmeister. »Aber ich bin nicht befugt, ihn zu benutzen. Nur im Notfall, wissen Sie, oder wenn Sie mir einen Haussuchungsbefehl vorlegen, der mein Handeln absichert.«
Er griff nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer, die er einer neben dem Telefon liegenden Liste entnahm. Er wartete ein paar Sekunden, dann klärte sich sein Gesicht auf.
»Mrs. Hutchlay?« fragte er. »Freut mich, Ihre Stimme zu hören! Hier ist Haskins. Ich unterhalte mich gerade mit Mr. Cotton vom FBI.
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