0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl
tagsüber allein. Die beiden kamen nicht sonderlich gut miteinander aus. Finch fühlte sich als Chef, und Commers hielt den Geschäftsführer für eine Niete. Und schon deshalb gab es wenig Kontakt.
Es klingelte zum zweitenmal.
Das werden die Bullen sein, dachte Commers, oder ein paar Jungens von der Presse. Was soll ich tun?
Schließlich gab er sich einen Ruck. Er ging nach vorn und öffnete. »Da ist ein Herr, der Sie sprechen möchte, Commers«, sagte Finch, »ein Mr. Cotton.«
***
»Haben Sie schlecht geschlafen, Commers?« erkundigte ich mich. »Sie sehen so blaß aus. Wirklich miserabel. Oder sind Sie etwa krank?«
Er glotzte mich an. »Kunststück!« knurrte er. »Diese Nacht werde ich so schnell nicht vergessen. Sie, der Lieutenant und die Reporter haben mich bis in den Morgen hinein ganz schön in Trab gehalten. Ich kann nur sagen, daß es mir reicht. Was gibt es denn diesmal?«
»Noch ein paar Fragen.«
»Okay, fragen Sie, aber machen Sie es bitte kurz«, meinte er.
»Aber doch nicht hier in der Rezeption!« mischte Finch sich verärgert ein. »Ich will nicht behaupten, daß wir einen großartigen Ruf zu verlieren haben. Trotzdem sollten wir alles vermeiden, um weiteres Aufsehen zu erregen. Nehmen Sie den Herrn mit in Ihre Wohnküche, Commers!«
»Bestimmen Sie das?« fragte Commers giftig. »Hier habe nur ich Hausrecht.«
»Was ist denn mit Ihnen los?« erkundigte sich der Geschäftsführer verwundert. »Sie sind doch sonst nicht so. Sie hatten doch gerade erst Besuch. Ah, ich verstehe! Er ist noch da?«
»Wie kommen Sie denn darauf?« fragte Commers wütend.
»Na, hören Sie mal! Die Wand ist ziemlich dünn. Ich habe Stimmen gehört.«
»Sie sollten sich gelegentlich mal die Ohren untersuchen lassen«, riet der Portier kratzbürstig. »Ich hatte das Radio angestellt.«
Finch hob die Augenbrauen. »Wie kann ich wissen, daß Sie neuerdings mit Radioansagern debattieren? Bislang neigten Sie nicht zu solchen Mätzchen, und auch Selbstgespräche haben Sie doch sonst nie geführt.«
»Was soll der Quatsch?« brauste Commers auf.
Finch blieb ruhig. Er war ein älterer Mann mit hagerem Gesicht und einem grauen Stetson auf dem Kopf. »Ich habe Ihre Stimme genau erkannt, Commers.«
»Wollen Sie mir was anhängen, Finch? Da sind Sie auf dem falschen Dampfer.«
Finch blickte mich an und hob wie entschuldigend die Schultern. »Er muß heute mit dem linken Bein auf gestanden sein«, sagte er.
»Ich kann es nicht leiden, wenn andere Leute über meine Wohnung verfügen«, knurrte Commers. Aber dann trat er zur Seite und machte Platz. »Das soll man gefälligst mir überlassen!« Er schenkte Finch einen giftigen Blick.
Ich schaute mich in der Wohnküche um und sah den Stuhl am Boden liegen. Commers folgte meinem Blick. Er hob den Stuhl auf. »Fassen Sie sich kurz«, bat er Und umklammerte mit beiden Händen die Stuhllehne. Ich bemerkte, wie seine Knöchel weiß und spitz hervortraten. Er sah aus, als hätte er die Stütze verdammt nötig.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Heraus mit der Sprache, Commers. Wer war bei Ihnen?«
»Wann?«
»Gerade eben, vor fünf oder zehn Minuten.«
»Finch spinnt«, sagte Commers grob. »Es war kein Mensch hier.«
Ich lächelte dünn. »Und weshalb ist die Pistole da in Ihrem Hosenbund? Geben Sie das Ding her!«
Er war so verschreckt und verdattert, daß er der Aufforderung widerspruchslos nachkam. Es war eine belgische FN. Ich schnupperte daran. Die Waffe schien in letzter Zeit nicht benutzt worden zu sein. »Gehört sie Ihnen?«
»Wem denn sonst?« krächzte er.
Ich legte die Pistole auf den Küchentisch.
Commers hatte sich inzwischen so weit gefaßt, daß er in der Lage war, eine Erklärung abzugeben.
»Lo Cockers haben sie umgebracht«, stieß er hervor. »In dieser Gegend ist alles möglich. Wundert es Sie da, daß ich vorsichtig bin?«
»Haben Sie eine Lizenz für die Waffe, Commers?«
»Nein, ich habe sie mal beim Trödler gekauft.«
»Wann?«
»Ach, vor etwa einem Jahr.«
»Bei welchem Trödler?«
»In einem Kellerladen in der Hamilton Avenue. Ich weiß nicht mehr, wie der Besitzer heißt.«
»Was haben Sie dafür bezahlt?«
»Vierzig Dollar.«
»Wir werden hinfahren und nachforschen, ob Sie die Wahrheit sagen.«
»Wie stellen Sie sich das vor? Der Kauf liegt schon ein ganzes Jahr zurück. Selbst wenn der Bursche mich wiedererkennen sollte, wird er bestreiten, mir die Kanone verkauft zu haben. Schließlich besitzt er keine Lizenz
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