0472 - Sie war nur ein 5-Dollar-Girl
keine«, sagte sie. »Vielleicht haben Sie sich verhört — oder der Schrei kam aus einer Nachbarwohnung.«
»Er kam aus diesem Apartment«, erklärte ich bestimmt. »Daran besteht kein Zweifel.«
Dolores Hutchlay starrte mich an. Ihre langen Wimpern flatterten. »Sie müssen sich irren«, sagte sie leise. Sie war jetzt wieder sehr blaß. Nur die linke Wange leuchtete feuerrot.
»Sie hatten vorhin einen Besucher in der Wohnung«, sagte ich ihr auf den Kopf zu.
Das Wimpernflattern verstärkte sich. »Nein«, hauchte sie. »Nein, das ist nicht wahr.«
»Er brachte Ihnen Instruktionen«, vermutete ich. »Sie verbaten sich die Einmischung, und da versetzte er Ihnen ein paar Schläge, um Ihnen zu zeigen, wie ernst er es meint.«
Dolores Hutchlay zitterte jetzt am ganzen Leibe. Ich merkte, wie sie dagegen ankämpfte, aber sie hatte einfach nicht die Kräfte, damit fertig zu werden. »Sie irren sich«, sagte sie kaum hörbar.
»Wer war es?« fragte ich.
»Ich muß etwas trinken«, sagte sie und stand auf. Ich beobachtete, wie sie eine Klappe der bis zur Decke reichenden Buchwand öffnete. »Trinken Sie einen mit?« fragte sie, ohne sich nach mir umzusehen.
»Einen Brandy vielleicht, aber nur einen kleinen.«
Sie stellte eine Flasche Martell und zwei Gläser auf den Tisch. Ihre Hand war beim Einschenken so unruhig, daß die Gläser zu voll wurden und ein Teil des Kognaks über den Rand schwappte. Dann setzte sie sich. »Prost«, murmelte sie und nahm einen tüchtigen Schluck. »Wer war es?« widerholte ich.
»Ich kenrie ihn nicht. Ich schwöre Ihnen, daß ich den Kerl nie vorher gesehen habe!«
»Was wollte er von Ihnen?«
Dolores Hutchlay lehnte sich wie entkräftet in die Couchkissen zurück. »Sie sollten nicht soviel fragen«, meinte sie mit schwacher Stimme. »Sie sollten gehen und mich vergessen. Es wäre besser für mich, ganz bestimmt. Ich will nicht sterben! Es ist schon schlimm genug, daß Herb auf diese schreckliche Weise enden mußte. Ich habe es ihm prophezeit. Ich habe es ihm immer prophezeit! Aber er lachte nur darüber.«
»Sie werden erst dann sicher sein, wenn wir diesen Burschen mitsamt seinen Hintermännern zur Strecke gebracht haben«, sagte ich.
»Das sagen Sie so dahin«, meinte Mrs. Hutchlay matt. »Ihnen geht es nur um die Information. Sie denken nur an Ihren Job. Ich verüble Ihnen das nicht. Aber die Wahrheit ist, daß ich nichts weiß. Herb war wirklich so schweigsam wie ein Grab, wenn es um Einzelheiten seiner Arbeit ging. Der Mann, der mich vorhin besuchte, wollte das nicht glauben. Er befürchtete, daß Herb mir das eine oder andere anvertraut hat, und er wollte mir klarmachen, daß ich unter allen Umständen den Mund zu halten habe!«
»Moment mal«, unterbrach ich sie. »Der Mann wußte also schon, was mit Ihrem Mann passiert ist?«
»Ja. Er wollte nur sicherstellen, daß ich der Polizei keine Details von IJerbs Arbeit und Herbs Chef gebe. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, bedrohte er mich mit einer Pistole. Das machte mich wütend. Als es klingelte, wollte ich zur Tür gehen. Er hielt mich mit beiden Händen fest. Ich schrie. Da preßte er mir seine feuchte, schweißige Pranke auf den Mund.«
Dolores Hutchlay schüttelte sich. »Es war gräßlich! Ich versuchte mich loszureißen und mich zu wehren. Er versetzte mir einen so heftigen Schlag ins Gesicht, daß ich mitsamt dem Stuhl zu Boden fiel. Als ich merkte, wie ernst er es meinte und daß er tatsächlich vor nichts zurückschrecken würde, fügte ich mich der Gewalt. Er ging, kurz nachdem Sie mit dem Lift nach unten gefahren waren. Ehe er verschwand, schärfte er mir noch einmal ein, den Mund zu halten.«
»Können Sie den Mann beschreiben?«
»Ja. Aber mir ist lieber, wenn ich darauf verzichten dürfte. Bitte, ziehen Sie mich nicht mit in diese schreckliche Geschichte hinein.«
»Sie sind bereits mittendrin«, sagte ich. »Aber Ihnen wird nichts zustoßen. Dafür sorge ich.«
»Er war ungefähr dreißig Jahre alt und gut gekleidet. Seine Krawatte fiel mir auf. Sie hatte einen blauen Knoten, und auf den unteren Teil war die Skyline, von Manhattan aufgedruckt.«
»Würden Sie den Mann auf einem Foto wieder er kennen?«
»Ganz bestimmt.«
»Wann pflegte Ihr Mann unterwegs zu sein?«
»Das war sehr verschieden. Er hatte keine geregelte Arbeitszeit.«
»Wurde er oft angerufen?«
»Ja, das passierte häufig.«
»Wie meldete sich der Anrufer?«
»Nicht namentlich. Fast immer waren Männer am Apparat. Sie
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