Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0479 - Der Blutjäger

0479 - Der Blutjäger

Titel: 0479 - Der Blutjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
Vom Netzwerk:
erkannte Zamorra, eingeweiht. Natürlich. Sir Bryont war eine ehrliche Haut. Er konnte nicht anders, als seiner Partnerin reinen Wein einzuschenken. Sie mußte wissen, was auf sie wartete, wenn sie sich auf seine Bitte einließ.
    Es konnte nicht leicht für sie sein. Sie wußte, daß sie an jenem Tag, an welchem ihr Sohn das Licht der Welt erblickte, ihren Mann verlieren würde.
    Lord Saris unterlag der Erbfolge.
    Jeder Mann dieser Erbfolge des Llewellyn-Clans wurde exakt ein Jahr älter als sein Vorgänger. Er kannte den Zeitpunkt seines Todes auf die Stunde genau. Und ziemlich exakt neun Monate vorher hatte er einen Sohn zu zeugen, der an seinem Todestag geboren wurde. Denn dann würde die Seele, der Geist, das Bewußtsein des Sterbenden, wie auch immer man es nennen mochte, in den Körper des Neugeborenen überwechseln, der wiederum genau ein Jahr länger leben würde als sein Vorgänger. Irgendwann einmal hatte Zamorra anhand es Lebensalters Sir Bryonts das Alter der Erbfolge zurückgerechnet und war auf eine astronomische, sehr fünfstellige Zahl gekommen - theoretisch konnte es damals noch überhaupt keine intelligenten Menschen gegeben haben, allenfalls Vorläufer der Vorfahren der Neandertaler. Jemand hatte einmal etwas spöttisch behauptet, der erste Llewellyn habe noch den letzten Saurier gekannt -was natürlich auch maßlos übertrieben war.
    »Etwas über ein halbes Jahr« murmelte Zamorra betroffen. »Das ist nicht mehr viel.«
    »Vielleicht hat er sich auch verrechnet, und es dauert etwas länger«, wandte Patricia leise ein.
    »Was geschieht dann?« entfuhr es Nicole. »Dann kommt das Baby doch zu früh, und…«
    »Dann probieren wir’s halt noch einmal«, sagte der Lord trocken.
    »Oder er muß das Kind von einer anderen Frau bekommen«, ergänzte Patricia MacRowgh mit einem bitteren Unterton.
    »Im Laufe der Jahrhunderte verliert man die Übersicht ein wenig«, sagte der Lord. »Damals waren die Kalender auch nicht so exakt, und hier in den Highlands hat man sich nie sehr viel darum gekümmert. Ich müßte Gryf fragen. Der alte Vogel kannte schon meine Vorfahren, die vor achttausend Jahren hier gegen piktische Kriegerhorden und außerirdische Invasoren gekämpft haben. Der alte Rhys Saris, der damals noch auf Caer Spook residierte und erst später Caer Llewellyn, heute Llewellyn-Castle, erbauen ließ, soll ganz enorme magische Fähigkeiten besessen haben.«
    »Du redest wie von einem Fremden, Bryont«, sagte Zamorra.
    »In gewisser Hinsicht ist er für mich auch fremd. Zamorra, ich kann mich doch nicht einmal mehr richtig an das erinnern, was sich noch vor zweihundert Jahren abgespielt hat. Wie soll ich mich da an konkrete Geschehnisse aus einem meiner früheren Leben erinnern? Ich bin mir ja selbst fremd. Was ich weiß, habe ich aus uralten Chroniken, die heute kein Mensch mehr anfassen kann, weil sie sofort zu Staub zerfallen, wenn nur ein leichter Windhauch geht.«
    »Vor achttausend Jahren gab es hier aber weder Pikten noch Gälen, und erst recht keine, die lesen und schreiben und Chroniken verfassen konnten!« protestierte Nicole.
    »Ich hab’s eurem Freund Ted Ewigk schon einmal gesagt, als wir uns kennenlernten und er die gleichen Zweifel äußerte: Die Entwicklung der hier ansässigen Völker und des Llewellyn-Clans haben sich von der modernen Geschichtsschreibung noch nie manipulieren lassen! Aber wir sollten das Thema jetzt abschließen; Patricia freut sich, euch kennenzulernen, und ich freue mich, daß ihr endlich mal wieder den Weg hierher gefunden habt. Wir sollten uns wirklich öfters sehen, in der kurzen Zeit, die noch bleibt. Und noch etwas, Zamorra: Wenn es soweit ist - dann möchte ich dich bei mir haben. Ich weiß nicht, was geschehen wird, aber ich habe in den letzten Monaten seltsame Träume, die nichts Gutes verheißen.«
    »Das heißt, ich soll dir beim Sterben zusehen?« fragte Zamorra unbehaglich.
    »Du wirst vielleicht dafür sorgen müssen, daß alles so abläuft, wie es ablaufen muß.«
    »Zum Teufel, ich bin kein Sterbehelfer, und erst recht nicht deiner!« stieß Zamorra hervor.
    Sir Bryont lachte leise. »Beim Sterben brauchst du meinem Körper nicht zu helfen, das schafft der schon von ganz allein… aber du bist der einzige, zu dem ich Vertrauen habe. Du mußt aufpassen, daß…«
    In diesem Moment las Zamorra in seinen Gedanken, was der Lord nicht auszusprechen wagte: Du mußt aufpassen, daß Patricia und das Kind überleben, damit ich in meinem Sohn mein

Weitere Kostenlose Bücher