048 - Blut für Lukretia
Wände neigten sich. Lukretia schloss die Beschwörung ab, dann stand sie auf und wartete. Kurz danach bewegte sich Dorian unsicher. Er hob die Hände, wälzte sich zur Seite und schlug die Augen auf. Lukretia hatte den Schleier abgelegt. Ihr langes Haar fiel locker über ihre Schultern.
»Lukretia!«, sagte Dorian verwundert und stand schwankend auf. Im Boden bildete sich ein feiner Riss, der rasch tiefer wurde. »Wo sind wir?«
Die Vampirin antwortete nicht.
Dorian trat neben den Sarg, der auf einem kleinen Tisch stand. Coco bewegte sich.
»Aufwachen, Coco!«, rief Dorian.
Sie öffnete die Augen und stand auf. Dorian hob sie zu Boden.
Der Dämonenkiller verstand die Welt nicht mehr. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit Lukretias Erscheinen. Sie musste von den Oppositionsdämonen gerettet worden sein. Aber wie hatte sie es zuwege gebracht, sie zu befreien? Dafür waren ihre Fähigkeiten zu schwach. Sie hatte Kadron nichts entgegenzusetzen. Es gab nur eine Möglichkeit. Die Oppositionsdämonen verwendeten sie jetzt als ihr Werkzeug. Dazu mussten sie aber in ständigem Kontakt mit Lukretia stehen.
»Lukretia!«, schrie der Dämonenkiller die Vampirin an, die noch immer reglos wie eine Statue in der Höhle stand. Er packte sie an den Schultern und rüttelte sie. Wieder erschütterte ein Stoß die Erde.
»Wir müssen flüchten«, sagte Lukretia plötzlich. Sie hatte mit veränderter Stimme gesprochen, einer Stimme, die Dorian kannte. Sie gehörte einem der Oppositionsdämonen, mit dem er drei Mal gesprochen hatte. »Ihr befindet euch in Pozzuoli. Es ist uns gelungen Kadron abzulenken, ihn in einen Kampf zu verwickeln, der seine ganzen Kräfte erforderte. Er konnte sich nicht auf euch konzentrieren, und das nutzten wir aus. Lukretia und einige Helfer haben eure Särge geraubt und euch in diese alte Römerhöhle gebracht. Hier wäret ihr für einige Zeit sicher gewesen, doch Kadron konnte sich befreien und sich mit Olivaro in Verbindung setzen. Und sie taten etwas, womit niemand rechnen konnte. Ein wahrhaft teuflischer Plan: Sie ließen den Vulkan ausbrechen. Ihr seid in der Höhle nicht mehr sicher. Ihr müsst versuchen, die Stadt zu verlassen. Lukretia wird euch führen.«
Die Starre fiel von der Vampirin ab. »Kommt mit«, sagte sie rasch.
Sie lief voraus. Dorian schob Coco vor sich her. Sie ließen die Höhle hinter sich und betraten einen schmalen Gang. Die Decke war niedrig. Bald wurde es heller. Sie traten aus dem Gang und blieben auf einer Plattform stehen. Coco drängte sich entsetzt an Dorian. Die Stadt war von dunklen, stinkenden Dampfwolken eingehüllt. Gesteinsbrocken und glühende Lava wurden durch die Luft geschleudert. Im Hafen zischte und kochte das Wasser. Immer wieder stiegen hohe Wasserfontänen in den dunklen Himmel. Ein bestialischer Geruch hing in der Luft.
»Rasch«, rief Lukretia ihnen zu. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Sie stieg in einen VW-Bus. Dorian und Coco setzten sich neben sie. Lukretia fuhr los. Eine schmale Gasse lag vor ihnen. Kein Mensch war zu sehen. Immer wieder ging Ascheregen nieder. Die Windschutzscheibe überzog sich mit einer Staubschicht. Lukretia stellte die Scheibenwischer ein, doch das half nicht viel. Sie musste langsam fahren. Überall lagen riesige Gesteinsbrocken herum. Die Erde bebte ununterbrochen. Der Bus wurde hin- und hergeschleudert. Einige der Häuser erzitterten in ihren Grundfesten. Ziegel und Fensterscheiben flogen auf die Straße. Eines der Gebäude neigte sich zur Seite. Die Dachschindeln polterten herunter, dann brach das Haus in sich zusammen. Eine Staubwolke verhüllte die Sicht. Lukretia legte den Rückwärtsgang ein, fuhr langsam weiter und bog in eine steil abfallende Straße ein. Aber sie kamen nicht weit und mussten bald aussteigen. Drei Autos waren zusammengestoßen und blockierten die Gasse.
»Wir müssen zu Fuß weiter«, sagte Lukretia und hielt sich ein Tuch vors Gesicht. Dorian und Coco folgten ihrem Beispiel.
»Wohin bringst du uns?«, fragte Dorian.
»Zu einem Höhlensystem. Dort befindet sich …«
Das Krachen einer Explosion übertönte ihre Worte. Ein Haus brach zusammen, und sie warfen sich zu Boden. Nachdem sich der Staub verzogen hatte, gingen sie weiter. Sie kamen an unzähligen zerstörten Autos vorbei. Immer wieder stießen sie auf Leichen. Kurz darauf erreichten sie eine Stelle, die einen guten Überblick über die Stadt bot. Es war ein entsetzlicher Anblick. Fliehende Menschen, die verzweifelt um einen
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