048 - Die Bande des Schreckens
dauern, bis Ihre Entlassung durchkommt. Warum überhaupt diese Eile?«
Diese Frage beantwortete der Wetter nicht ganz zufriedenstellend.
Berkeley Square erreichte er in dem Augenblick, als der Wagen seines Vaters vor der Haustür hielt. Sir Godley und Nora Sanders stiegen aus.
»Das ist schrecklich!« meinte Nora leise, als ihr Arnold Long das Ergebnis der Gerichtsverhandlung mitteilte. »Einesteils - tut sie mir leid.«
»Eigentlich sollte sie mir auch leid tun«, warf Sir Godley ein, während er eine Zigarre aus dem Kistchen auf dem Tisch nahm. »Und doch ist dies nicht der Fall.«
»Warum sollte sie gerade Ihnen leid tun?« fragte Nora überrascht.
Der alte Herr zögerte.
»Sag ihr ruhig, warum sie dir leid tun sollte!« ermunterte ihn Arnold.
»Weil...« Sir Godley zündete sich die Zigarre an, blies das Streichholz aus und legte es mit großer Ruhe in den Aschenbecher. »Weil...« In diesem Moment klingelte das Telefon, und er nahm den Hörer ab.
Der Wetter sah, wie sich die Stirn seines Vaters in Falten legte.
»Das ist recht merkwürdig -«, sagte Sir Godley.
Am ändern Ende sprach jemand mit großem Ernst. Es war, wie sich später herausstellte, der Gefängnisgeistliche.
»Gut, gut - ich werde kommen.« Sir Godley legte den Hörer auf.
Die Blicke von Vater und Sohn trafen sich.
»Sie will mich sehen!«
»Sie? Warum in aller Welt...« entfuhr es Nora, doch als sie die Gesichter der beiden sah, schwieg sie.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich hingehe.«
Wenig später lehnte sich Sir Godley ins Polster seines Wagens zurück. Die Zeitungsplakate, die an allen Ecken prangten, trugen die Aufschrift: ›Schwere Strafe für die Frau des Schreckens!‹ So hatten die Reporter Miss Revelstoke einmütig getauft.
Die Frau des Schreckens! Fünfundzwanzig oder dreißig Jahre mußten vergangen sein, seit sie sich zuletzt Aug in Aug gegenübergestanden hatten. Die bevorstehende Unterredung würde unangenehm, vielleicht schrecklich sein, aber er betrachtete sie als seine Pflicht.
Das Holloway-Gefängnis! Der Geistliche, der vertretungsweise den Dienst versah, weil der ständige Gefängnisgeistliche auf Urlaub war, wartete auf ihn.
»Sie ist in ausgezeichneter Geistesverfassung«, erzählte der junge Seelsorger aufgeregt, denn Miss Revelstoke interessierte ihn. Sie war die erste bedeutende Gefangene, mit der er es zu tun bekam. »Unter gewöhnlichen Umständen hätte ich nicht um die Erlaubnis nachgesucht, aber sie beharrte darauf, Ihnen als dem Vorsitzenden der Bankiervereinigung etwas mitzuteilen, und so habe ich den Direktor gebeten...«
Sir Godley war zu seinem eigenen Erstaunen in der vergangenen Woche zu dem Amte berufen worden, das durch Monkfords Tod frei geworden war. Jetzt erfuhr er auch, daß er aufgrund einer Ausnahmebewilligung des Innenministeriums bei der Gefangenen zugelassen wurde, daß er jedoch der Presse gegenüber keine Äußerungen darüber machen dürfe. Diese Warnung war überflüssig.
»Ich verstehe«, winkte er ab. Es erschien ihm seltsam, daß er ins Holloway-Gefängnis kommen mußte, um einen aufgeregten Geistlichen zu beruhigen und lächerliche Zusicherungen abzugeben.
»Dann wollen wir also gehen! Die Unterhaltung kann unter vier Augen stattfinden, obschon ich offiziell zugegen sein werde.«
Die Aufseherin schob den Riegel zurück und stieß die Tür nach innen auf.
»Die Tür bleibt offen!« bestimmte der Geistliche schnell. »Ich warte draußen.«
Sir Godley gab sich einen Ruck, dann betrat er die helle, luftige, nur spärlich ausgestattete Zelle. Die Frau stand mit dem Rücken zur gegenüberliegenden Wand. Sie wirkte ruhig, ihre dunklen Augen schienen zu lächeln. Gewöhnlich mußten Gefangene bei der Einlieferung ihre Kleidung mit der Gefangenenkleidung vertauschen, doch sie trug das blaue Kostüm, das sie schon während der Gerichtsverhandlung angehabt hatte. Später erfuhr er, daß sie aus bestimmten wichtigen Gründen gleich nach seinem Besuch in eine Anstalt außerhalb Londons gebracht werden sollte.
»Guten Tag, Godley - es ist sehr nett von dir, daß du herkommst.«
Er senkte den Kopf etwas.
»Dein Junge ist sehr tüchtig - das hat er wohl von seiner Mutter?«
Ihre bewußte Unverschämtheit setzte ihn nicht in Erstaunen. In den zwanzig Jahren hatte sie sich nicht verändert, sie war immer noch das gleiche selbstbewußte, arrogante Geschöpf.
»Selbstverständlich nahm ich keinen Augenblick an, daß er ein Verwandter Clays sein könnte«, fuhr sie unbeirrt
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