0484 - Ich stellte dem Tod ein Bein
hinter seinem Schreibtisch. Unter dem halb durchsichtigen Nylongewebe zeichneten sich muskulöse Arme und starke Schultern ab. Er schüttelte uns die Hand und wies auf zwei Stühle. Sein kantiges Gesicht war sonnengebräunt. Nachdem wir uns gesetzt hatten, zog er eine Verbindungstür auf und rief hinaus:
»Tibby, kommen Sie rein!«
Ein kleiner wieselflinker Mann von 40 bis 45 Jahren erschien und wurde uns als Detective Sergeant Tibby Fitzgerald Lean vorgestellt. Er hatte einen Kranz von Lachfältchen um jedes Auge und schien keine Sekunde imstande zu sein, sich bewegungslos ruhig zu verhalten. Pausenlos waren seine langen, schlanken Finger in Bewegung.
»Tibby ist mein Assistent«, sagte Stone, »und da er viel mehr Erfahrung hat als ich, kann man sagen, daß er der eigentliche Leiter der Mordkommission ist.«
»Mit dem einzigen Unterschied«, bemerkte Tibby mit einer hohen Fistelstimme, »daß ich nicht das Gehalt dafür bekomme.«
»Seien Sie nicht immer so geldgierig, Tibby!« sagte Stone. »Jede Gesellschaft braucht ein paar Idealisten. Erzählen Sie den G-men alles, was wir bis jetzt im Mordfall Fay Lorra ermittelt haben!« Tibby setzte sich rittlings auf einen Stuhl, legte die Hände auf die Rückenlehne und bettete das Kinn darauf.
»Lieber Himmel!« stöhnte er. »Ermittelt? Wir wissen noch so gut wie gar nichts. Abgesehen davon, daß wir das Opfer identifizieren konnten anhand des Führerscheins, den sie bei sich trug. Und das ist auch nur eine vorläufige Sache, für eine amtliche Identifikation reicht das ja bei weitem nicht aus. Wir müssen sehen, daß wir zwei Leute auftreiben, die sie persönlich gekannt haben und die bereit sind, sie im Schauhaus ganz offiziell zu identifizieren.«
»Erzählen Sie von dem Mädchen, was Sie wissen, Sergeant!«
»Fay Lorra, 22 Jahre alt, nicht vorbestraft, US-Bürgerin weißer Rasse«, ratterte Tibby herunter, als ob er es auswendig gelernt hätte. »Schlanke, sehr zierliche Erscheinung, sicher ein bildhübsches Mädchen im landläufigen Sinne, wahrscheinlich kaum schwerer als 100 bis 105 Pfund. Die genauen Meßdaten stehen noch aus, ebenso der Obduktionsbefund.«
»Wann wurde sie gefunden?«
»Ein paar Minuten nach fünf Uhr. Vom Nachtportier des Woodward Hotels. Er hörte einen Schuß oder jedenfalls etwas, das sich wie ein Schuß anhörte. Er hatte es sich in seiner Loge ein bißchen bequem gemacht, und es dauerte eine Weile, bis er seine Schuhe angezogen, die Tür aufgeschlossen und sich hinausbegeben hatte. Das Woodward Hotel liegt am Broadway, aber selbst in dieser Straße ist morgens um fünf nichts mehr los. Er reckte also ganz vergeblich seinen Kopf in alle Richtungen und wollte schon ins Hotel zurückkehren, als ihm etwas auf fiel. Schräg gegenüber gibt es eine Einfahrt zwischen zwei Häusern, und in dieser Einfahrt lag irgend etwas Helles. Der Portier wurde neugierig und überquerte die Straße. Was J er gesehen hatte, war ein weißer Schal gewesen. Was er fand, war die Besitzerin dieses Schals, eben Fay Lorra. Das Mädchen lag ein paar Schritte die Einfahrt hinein auf dem Pflaster, und daß sie tot war, das konnte jeder blutige Anfänger auf den ersten Blick erkennen. Well, der Portier lief ins Hotel zurück und rief das nächste Revier an. Sein Anruf wurde von den Cops um fünf Uhr 16 ins Wachbuch eingetragen. Sie jagten ihren nächsten Streifenwagen hin, und der alarmierte uns um fünf Uhr 21.«
»Ist das Mädchen beraubt worden?« wollte Phil wissen.
»Vermutlich«, erwiderte der Sergeant. »Ihre Handtasche lag geöffnet neben ihr. Es fehlte nichts von all den Kleinigkeiten, die Frauen mit sich herumzutragen pflegen. Aber es war nicht ein Cent in der Tasche.«
»Sie muß nicht unbedingt Geld bei sich gehabt haben«, meinte Phil.
»Muß nicht«, gab Tibby zu. »Aber die Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Unter den Papieren, die in der Handtasche waren, fanden wir Unterlagen, aus denen hervorgeht, daß sie Bardame war im Club 27. Das ist, wie Sie vielleicht wissen, eines der teuersten Lokale am Broadway. Was eine Bardame dort in einer Nacht an Trinkgeldern einnimmt, verdient unsereins in der ganzen Woche nicht. Wo sind diese Trinkgelder?«
»Haben Sie schon mit irgendwelchen Leuten aus der Bar gesprochen?« fragte ich.
Stone schüttelte den Kopf.
»Bis jetzt noch nicht. Das ist das nächste, was auf meinem Programm steht.«
»Schön«, sagte ich. »Tun wir’s zusammen. Es ist jetzt fast Mittag, und allmählich müßten sogar die
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