0485 - Whisper - der Staubgeist
die hat er uns mitgeteilt, als wir zu Staub geworden waren und alles begreifen konnten. Jetzt seid ihr gekommen und wollt ihn stoppen.« Der alte Mann schaute auf und schüttelte den Kopf.
»Nein, das kann und wird euch nicht gelingen. Ihr könnt die Seiten im Buch des Schicksals nicht zurückschlagen.«
Das hörte sich tatsächlich so an, als hätten wir überhaupt keine Chance mehr. Aber daran wollte ich wieder nicht so recht glauben.
Wir hatten schon ganz andere Dinge vollbracht. Zwar keine Wunder, aber stets Auswege gefunden.
Der alte Mann sprach weiter. Er redete jetzt mit seiner Urenkelin.
»Du hast meinen Rat zwar befolgt, Janine, aber du bist zurückgekehrt. Das hättest du nicht tun sollen. Als einzige im Ort hattest du die Chance gehabt, dem Grauen zu entfliehen. Das ist nun vorbei, denn du steckst mitten im Kreislauf der Mächtigen.«
Janine schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde nicht zulassen, daß man mich manipuliert. Ich habe…«
»Du hast keine Möglichkeit zur Flucht. Jeder, der sich hier im Ort aufhält, ist verflucht. Das mußt du dir genau merken, mein Kind. Ich hätte gern gesehen, wenn jemand aus unserer Sippe gerettet worden wäre. Aber so…« Er hob mit einer müde wirkenden Bewegung den Arm und ließ ihn ebenso langsam wieder fallen. Die ausgestreckte Hand prallte dabei auf die Tischplatte. Wir hätten kaum hingeschaut, wäre uns nicht die Staubwolke aufgefallen, die plötzlich aufquoll. Das war nicht alles. Die Hand hatte den Schlag nicht überstanden. An den Fingern begann sie damit, sich aufzulösen.
Zuerst waren es die Kuppen und Nägel, die zerflossen, und wir schauten auf mehrere kleine Sandhäufchen.
Auch Janine hatte zugesehen. Sie überwand sich selbst, wollte auf ihren Urgroßvater zuspringen, dessen Kopf bereits nach hinten kippte und mit dem Hals von der Lehne abgestützt wurde.
Blitzschnell hielt Suko das Mädchen fest. »Nein, Sie bleiben hier, Janine!« Suko drehte sich um und preßt sie so an sich, daß sie nicht hinschauen konnte.
Es war gut, denn das Sterben des Greises ging auch uns an die Nieren. Er begleitete es mit Worten, die flüsternd über seine Lippen drangen.
»Die Alten sind nicht kräftig genug. Sie müssen den Tribut zahlen, so wie ich. Sie sind ausgelaugt, fertig, sie können sich nicht mehr so viel vertragen. Das Wechselspiel hat sie zerstört und…«
Er konnte nicht mehr sprechen, dafür hörten wir das Rascheln.
Dabei sackte seine Gestalt ineinander. Der Kopf drehte sich zur Seite, das Gesicht veränderte sich. Es wurde zu einem Relief, das sich ebenfalls bewegte und ineinanderlief. Von verschiedenen Seiten rannen die kleinen Sandbahnen und Staubkörner aufeinander zu, bis diese, zusammen mit den Furchen ineinander sackten, so daß vom Kopf des Mannes nicht mehr zurückblieb als feiner Sand und Staub.
Auch den Körper gab es nicht mehr. Auf dem Stuhl hatte sich ein Bündel alter Kleider zusammengefaltet.
Janine wandte dem Bündel den Rücken zu. Noch immer hielt Suko sie fest. Wir hörten ihre flüsternde Stimme. »Ist er tot?« fragte sie.
»Ist er wirklich gestorben?«
»Ja«, sagte mein Freund.
»Ich wußte es«, flüsterte das Mädchen. »Keiner hat eine Chance. Jeder wird sterben, auch wir…«
»Nein«, sagte ich. »Denken Sie an die Worte Ihres Großvaters. Er hatte keine Chance, weil er zu alt war. Die anderen aber sind jünger. Sie befinden sich jetzt noch unter der Knute des Staubgeistes. Wir werden dafür sorgen, daß die Macht gebrochen wird.«
»Ach, das ist doch nicht wahr. Sie sagen es nur so. Das schaffen wir niemals.«
»Können wir jetzt gehen?« fragte Suko leise.
»Wohin?«
»Sie sind hier zu Hause, Janine. Wollen Sie uns nicht führen? Ihre Eltern leben hier. Ihre Großeltern, das haben Sie uns gesagt.«
»Ja, stimmt.« Sie ging einen kleinen Schritt zurück, schaute dabei zu Boden und hob die Schultern. »Aber ich möchte nicht, daß es wieder passiert. Daß ich so nahe den Tod sehe.«
»Wir glauben nicht, daß dies der Fall sein wird. Ihr Urgroßvater ist gestorben, weil er zu alt war. Er hat die Magie nicht mehr verkraftet. Bei den Jüngeren müssen Sie von anderen Voraussetzungen ausgehen, Janine.«
»Und Whisper?«
»Hat uns bisher noch nichts getan«, sagte ich.
»Aber ich habe Furcht vor ihm. Verstehen Sie das?«
»Sicher. Nur – weshalb sind Sie uns dann nachgelaufen?«
Janine Remi hob die Schultern. »Eine gute Frage, John. Ich kann es selbst nicht sagen. Es war ein Trieb in mir. Ich spürte
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