0489 - Die Spinnenhöhle

habe nicht gesehen, daß du auch nur einen Kabelstrang hinter dir her geschleift hast«, bemerkte Saranow. Er nahm seinen Assistenten beiseite. »Sag mal, wie bist du so schnell nüchtern geworden? Keine Ausfallerscheinungen mehr zu beobachten, nichts…«
    Dembowsky grinste.
    »Ich habe ein Ferngespräch nach Frankreich geführt«, gestand er. »Ich habe Professor Zamorra nach einem Rezept gegen den Blutalkohol gefragt. Er hat mir eine komische Zauberformel vorgebrabbelt. Und - die wirkt! Die Promillchen sind abgebaut, Boris!«
    Der schluckte heftig. »Du hast - mit Frankreich telefoniert? Bist du des Wahnsinns fette Beute?«
    »Aber nicht doch! Ich bin nicht fett! Und schon gar keine Beute. Ich habe das Gespräch nur in deinem Namen angemeldet, und man hat es sofort bewilligt.«
    Saranow faßte sich mit beiden Händen an die Stirn.
    »Was hast du, Brüderchen?« fragte Dembowsky.
    Saranow seufzte. »Wenn du eines morgens erwachst und feststellst, daß du tot bist, dann kannst du dem Pathologen bei deiner Obduktion mitteilen, daß ich es war, der dich ermordet hat. Auf welche Weise auch immer«, ächzte der Parapsychologe.
    Dembowsky zuckte mit den Schultern. »Wie geht’s nun vor meiner Ermordung hier weiter, Professor? Was soll dieser ganze Aufmarsch? Was ist hier passiert, was ist mit der ›Zigarre‹? Ist Davidoff jetzt endgültig zur Spinne mutiert?«
    Saranow schüttelte den Kopf. »Ich habe an ihm nichts Spinnenhaftes sehen können. Statt dessen ist er verschwunden. Wie ein Teleporter. Und ich will herausfinden, ob es hier in der Wohnung Kraftfelder gibt, die ihm das erleichtert haben.«
    »Hoffentlich haut das hin«, murmelte Dembowsky skeptisch. Plötzlich sah er Saranow wachsam an. »Du willst doch wohl nicht hinter ihm her?«
    »Warum nicht?« fragte Saranow. »Der Mann macht mich neugierig. Schleppt uns ’ne Spinne an, macht uns heiß drauf, und wenn wir anfangen, das Viech zu erforschen, verschwindet er mitsamt demselben! Das gefällt mir nicht, Fedor Martinowitsch. Und ich will wissen, warum wir an der Nase herumgeführt werden sollen, zumal die Spinne in Europa auch gestohlen wurde.«
    Dembowsky spuckte in die Hände. »Na, dann wollen wir uns mal alle in die Arbeit stürzen. Ich liebe diese trockenen Analysen und Tests und den Papierkrieg und die Auswertung.«
    »Und ich den Abschlußbericht und die Spesenrechnung«, murmelte Saranow.
    ***
    Der Gnom bewegte sich mit affenartiger Geschwindigkeit vorwärts. Er brauchte sich kaum noch auf die Spur zu konzentrieren, er sah sie jetzt auch schon fast ohne das Amulett deutlich vor sich. Daß ihm immer wieder Zweige ins Gesicht peitschten, ignorierte er einfach. Zwischendurch hörte er einmal Ted Ewigk aus der Ferne etwas rufen. Aber er achtete nicht weiter darauf.
    Nach einer Weile stieß er auf das Ende eines Weges. Unversehens brach er aus dem Unterholz hervor, sah vor sich wieder eine dieser seltsamen pferdelosen Kutschen und dazu zwei Männer, die Uniformen und Pistolen trugen. Sie fuhren herum und starrten ihn überrascht an. Einer wollte etwas sagen, der andere hob seine Pistole.
    Den Gnom packte die Angst.
    Er war inzwischen lange genug in dieser Welt, um zu wissen, daß diese schwarzen, kleinen Waffen weitaus gefährlicher waren als die klobigen Duellpistolen seiner Zeit. Und er wußte auch, daß Uniformen Autorität verliehen.
    Autoritäten hatten ihm bislang immer nur Ärger bereitet. Und jetzt packte ihn die absolute Panik. Er stürzte vorwärts, stolperte, dachte an die Spur, die er bisher verfolgt hatte und daran, daß er weder Mademoiselle Nicole noch Monsieur Ewigk Ärger bereiten wollte, den sie aber garantiert gleich bekommen würden, denn wie sollte er seine Existenz diesen Uniformierten glaubwürdig erklären?
    Er stolperte gegen die pferdelose Kutsche - und fiel mitten zwischen Staub und zerpulvernde, knirschende Knochenreste.
    »Hoppla!« murmelte er und ließ das Amulett nicht los. »Was ist denn jetzt los?«
    Aber das konnte ihm auch die riesige Spinne nicht sagen, die über ihn hinwegschritt, ohne ihn zu bemerken. Sie war größer als ein Elefant und stank nach Tod, Blut und Fäulnis.
    Der Gnom würgte den Brechreiz wieder hinunter und richtete sich halb auf. Da sah er das Unglaubliche!
    ***
    Nicole sah den etwas schlammigen Weg, sah Reifenspuren und lenkte den Rolls-Royce ohne Rücksicht auf Verluste hinein. Der Karte nach hörte dieser Weg nach etwas über hundert Metern schon auf. Aber vielleicht traf sie hier auf den Gnom oder