049 - Die Höhle der Untoten
zu bringen. Er hatte ihre Hilflosigkeit geschickt ausgenutzt. Vielleicht wusste der selbsternannte Fürst der Finsternis, dass die magischen Fähigkeiten der jungen Hexe mit Beginn der Schwangerschaft nachgelassen hatten, dass sie sogar zeitweilig überhaupt nicht mehr vorhanden waren. Er hatte diese Schwäche konsequent einkalkuliert.
Dorian verlangte dem Wagen alles ab. Jetzt, da er allein war, brauchte er keine Rücksicht zu nehmen. Er jagte das Auto durch die Kurven, schleuderte, fing es immer wieder geschickt ab und brauste hinauf zum Bergwald. Dort oben an der Blitzeiche hoffte er, Coco noch abfangen zu können. Vielleicht reichte die Zeit gerade noch aus. Dass er sich selbst in höchste Lebensgefahr brachte, zählte überhaupt nicht. Olivaro und seine Kreaturen warteten sicherlich darauf, ihn schnappen zu können. Sie mussten ja wissen, dass er kam. Ein Mann wie Dorian Hunter würde seine Gefährtin niemals im Stich lassen. Als er auf eine kleine Holzbrücke zuraste, war sie plötzlich nicht mehr vorhanden, sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Dorian trat kurz auf die Bremse, schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. Dann gab er wieder Vollgas und jagte weiter, als sei überhaupt nichts passiert.
Seine Gedanken überschlugen sich. Würde sich Olivaro mit solch einem billigen Ende seines permanenten Widersachers begnügen? Reichte ihm ein gebrochenes Genick? Das war so gut wie ausgeschlossen. Der Dämon wollte mehr, wollte sich an den Qualen seines Erzfeindes ergötzen.
Die Brücke war plötzlich wieder da, schien nie verschwunden gewesen zu sein. Die Stahlgürtelreifen des Dienstwagens rumpelten über ihre Bretter. Der Wagen jagte hinauf zum Bergwald.
»Herr Laube, Sie wissen mehr«, sagte Kommissar Roth und sah den Lehrer prüfend an.
Die beiden Männer standen vor dem Gasthof. Roth hatte gerade von Walter Dünhofen erfahren, dass Dorian sich den Dienstwagen ausgeliehen hatte.
»Ich weiß kaum mehr als Sie, Kommissar – aber ich glaube an Dinge, über die Sie lachen würden.«
»Kommen Sie mir nicht wieder mit diesem dreiäugigen Ungeheuer!« Der Kommissar war gereizt, verunsichert, wütend. Er musste immer wieder an den Felsbrocken denken, der ihnen den Weg versperrt und sich dann in Staub aufgelöst hatte. Sein Weltbild war ins Wanken geraten.
»Dieses Ungeheuer existiert, Kommissar. Wenigstens für mich.«
»Mann, wir leben in einem aufgeklärten Jahrhundert!«
»Wie erklären Sie sich dann die Staubwolken?«
»Verlassen Sie sich darauf, dafür gibt es eine Erklärung, auch wenn ich sie jetzt noch nicht kenne. Warten Sie ab, bis die Bereitschaftspolizei hier ist! Ich schwöre Ihnen, dass ich diesen Irren fassen werde.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück dazu, Kommissar!«
»Wohin ist Hunter gefahren?«
»Vielleicht hinauf zum Bergwald.«
»Zu der Höhle, die es nicht gibt, wie?«
»Möglich, Kommissar.«
»Also, ich weigere mich, an solchen Unsinn zu glauben. Sie finden mich bei den Tauchern.« Er wandte sich abrupt ab und überquerte den kleinen Marktplatz. Kurz darauf ging er in jenen Gasthof, in dem die Taucher abgestiegen waren. Vor dem Eingang standen die Wagen der Taucher.
Laube fiel auf, dass sowohl auf dem Marktplatz als auch auf den wenigen Straßen kaum ein Mensch zu sehen war. Das Schicksal des Tauchers hatte sich herumgesprochen. Die Einwohner der Ortschaft hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen. Hier und da waren bereits die Fensterläden geschlossen worden. Laube konnte die Menschen sehr gut verstehen. Auch er fühlte sich bedroht, hatte Angst. Er beeilte sich, hinüber in seine Wohnung zu kommen. Der Fleischer schien ihn gar nicht zu sehen. Er ließ gerade die Rollläden herunter. Der Kaufladen hatte bereits geschlossen. Bäcker Schober, ein dickbauchiger, großer Mann, stand auf einem Stuhl und befestigte über seiner Tür zum Laden einen Reisigstrauch, in dessen Zweige ein rotes Band eingeflochten war. Schober nickte dem Lehrer nur knapp zu, stieg hastig vom Stuhl und verschwand in seinen Laden. Laube hörte, wie er absperrte. Angst und Erwartung lagen über dem kleinen Marktflecken, der sich zu ducken schien.
Walter Dünhofen hatte sich einen Schnaps eingegossen und wollte gerade trinken, als sich die Tür neben dem Tresen öffnete. Entgeistert starrte er auf die junge Frau, die wie selbstverständlich eintrat und ihm zunickte.
»Liesel?« Walter schluckte, glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Es war tatsächlich Liesel, die er vor drei
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