0490 - Hiebe auf den ersten Blick
das Neonlicht an.
Dick blickte sich um. »Eine ungemütliche Umgebung«, brummte er. »Kalt und unheimlich.«
Die weißgekachelten Wände spiegelten eine Art Operationstisch wieder, der in der Mitte stand. An der Längswand waren Boxen eingelassen.
»Hier werden wir Phil nicht finden«, meinte Dick.
Ich wollte Dick zustimmen. Aber da hörte ich ein kaum wahrnehmbares Geräusch.
»Phil!« rief ich. »Phil!«
Ich rannte auf die Boxen zu und zog sie heraus. Die ersten beiden waren leer. In der nächsten lag ein Mann, der mir bekannt vorkam. Aber ich nahm mir nicht die Zeit, mich näher mit ihm zu beschäftigen. Ein furchtbarer Verdacht stieg in mir auf und raubte mir fast den Verstand.
»Sieh nach!« schrie ich Dick an. »Überall! Wir müssen ihn finden!«
Die vierte Box war ebenfalls leer. Und die fünfte…
Ich kann heute noch nicht sagen, was für Gefühle in mir aufstiegen, als ich Phil liegen sah. Er war so weiß wie das Laken, auf dem er lag. Um seine Lippen spiegelte dasselbe Lächeln, das er aufsetzte, wenn ihm ein besonderer Spaß gelungen war. Ich war unfähig, mich zu rühren.
»Phil«, sagte ich leise, »Phil…«
Dick rammte mir seine Faust in die Seite. »Wach auf!« brüllte er mich an.
Wie durch einen Schleier sah ich, daß er Phils Handgelenk umspannte.
»Er lebt noch Jerry, aber wir müssen uns verdammt beeilen!«
Wir hoben ihn auf eine Bahre und legten ihn auf den Präparationstisch. Dick begann sofort mit der Massage.
Ich rannte hinaus. Einer unserer Leute stand auf der Treppe. »Sofort einen Krankenwagen und einen Arzt. Es geht um Sekunden. Phil Decker ist halb erfroren und…«
Noch ehe ich ausreden konnte, war der Mann weg.
Irgendwo hörte ich Schüsse, aber das kümmerte mich nicht. Ich lief in die Leichenhalle zurück.
Dick hatte Phil ausgezogen und bearbeitete seinen Körper mit Eisstücken, die er in einem Kühlfach gefunden hatte.
»Es ist das einzige, was wir im Augenblick für ihn tun können«, sagte er. »Die Blutzirkulation muß angeregt werden…«
»Meinst du, daß er durchkommt?« unterbrach ich ihn angstvoll.
Ohne mit der Massage aufzuhören, warf er mir einen Blick zu. »Du bist vielleicht ein Kerl! Natürlich kommt er durch! Phil ist schließlich kein Schneemann!«
Der gute Dick wollte mich aufmuntern. Aber an seiner rauhen Stimme merkte ich, daß er von seinen Worten keineswegs überzeugt war.
Wir arbeiteten vielleicht fünf Minuten. Phil war noch immer bewußtlos, obwohl ich mir einbildete, daß eine schwache Röte in sein Gesicht gezogen war.
Und dann kamen die Sanitäter. Ein Mann mit einer überdimensionalen Hornbrille beugte sich über Phil, fühlte seinen Puls und schüttelte den Kopf. Ohne ein Wort zu sprechen, zeigte er auf die Bahre.
Die Sanitäter hoben ihn darauf und zogen im Laufschritt ab.
Ich wollte hinterher. Aber da öffnete der Mann mit der Hornbrille zum erstenmal den Mund.
»Sie sind Mr. Cotton, nicht wahr?«
Ich nickte nur.
»Sie sind sein Freund?«
»Ja«, quetschte ich hervor.
»Okay, dann kann ich Sie in den nächsten Stunden nicht gebrauchen. Kommen Sie heute abend mal vorbei!« Noch ehe ich etwas einwenden konnte, lief er hinter den Sanitätern her. Meine Hände zitterten.
»Auch wenn es vielleicht nicht den Gepflogenheiten entspricht, in diesem Raum zu rauchen, würde ich vorschlagen, wir stecken uns eine an.« Dick hielt mir eine Zigarette vor die Nase, die er bereits angezündet hatte.
Ich nahm ein paar tiefe Züge. Langsam wurde ich ruhiger. Nur meine Stimme klang noch belegt.
»Sehen wir uns die Boxen noch einmal an. Ich glaube, ich habe vorhin ein bekanntes Gesicht entdeckt.«
Wir gingen zu der Box hinüber, die halb herausgezogen war.
»Kennst du den Mann?« fragte Dick, als ich das spitze Gesicht des Toten eingehend betrachtete.
»Ja, er heißt Hank Edge. Sein Tod geht auf das Konto von Mac Semple. Wir suchen ihn schon lange.«
Das war nicht die einzige Überraschung, die wir im Leichenkeller erlebten. Die meisten Boxen waren leer. Aber dann fanden wir eine, in der ein älterer Mann lag. Er trug einen eleganten Straßenanzug. Es war nicht das Loch hinter dem rechten Ohr, das mich stutzig machte, sondern die Ähnlichkeit mit einem Mann, den ich erst gestern gesprochen hatte.
Ich war beinahe sicher, daß der Tote, der vor uns lag, Halsey Torrington war.
***
Tom Crowley hatte einen bitteren, scharfen Zug im Gesicht, als er zu uns in den Leichenkeller kam. Seine erste Frage galt Phil.
»Wird er
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