0490 - Hiebe auf den ersten Blick
unterschätzt. Jetzt präsentiert er mir die Rechnung.«
»Wer?«
»Mac Semple! Ich habe in den letzten Tagen ein paar Recherchen durchführen lassen. Mac steckt viel tiefer im Geschäft, als wir bisher annehmen konnten. Warum nicht auch im Fall Torrington?«
Mr. High nahm ein Formular aus der Schreibtischschublade und schob es mir herüber. »Hier ist der Haussuchungsbefehl, -Jerry. Wieviel Leute brauchen Sie?«
»Ich möchte nur Dick mitnehmen. Es genügt, wenn sich zwei Besatzungen in einer Seitenstraße in Bereitschaft halten. Wenn Phil tatsächlich in ihrer Gewalt ist, werden sie ihn gegen uns ausspielen. Und das möchte ich verhindern.«
»Alles Gute, Jerry«, sagte der Chef mit Wärme.
Wir verabschiedeten uns mit einem festen Händedruck. Ein Luxus, den wir uns nur selten erlaubten. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man weiß, daß der Chef in allen Situationen hinter einem steht. Man braucht das manchmal.
***
Ich verständigte Tom Crowley, der den Befehl über die beiden Einsatzwagen übernehmen sollte, und ging dann hinüber zu Dick Borden.
Er trank gerade seinen Nachmittagskaffee.
»Tut mir leid, daß ich dich stören muß, Dick. Phil sitzt in der Klemme!«
Dick Borden bewegte sich im allgemeinen mit der Ruhe eines Grislybären. Aber er konnte auch verdammt fix sein, wenn es darauf ankam. Er war kein Freund überflüssiger Worte. Deshalb angelte er sich seinen ausgebeulten Hut vom Ständer, steckte die Automatik in die Schulterhalfter und sprach nur ein Wort: »Wohin?«
Wir gingen hinunter in den Hof, ließen uns von der Fahrbereitschaft einen unauffälligen Wagen geben, und dann ging es los.
Unterwegs klärte ich Dick über unser Vorhaben auf.
Er nickte nur, stellte aber keinerlei Fragen. Er war ein Freund, auf den man sich hundertprozentig verlassen konnte, ruhig, aber immer guter Laune. Phil und ich arbeiteten gern mit ihm. Sein manchmal etwas abgründiger Humor verriet einen klugen Kopf.
Wir stellten unseren Wagen vor einem Drugstore ab. Zweihundert Yard weiter sah ich einen unserer Streifenwagen. Mit Tom hatte ich verabredet, daß er, falls er keinen gegenteiligen Befehl erhielt, nach fünfzehn Minuten anrücken sollte. Für unsere Verständigung trug ich ein Mini-Sprechgerät in der Tasche, das nicht größer als ein elektrischer Rasierapparat war. Seine Reichweite war bei ungünstigen Bedingungen auf 500 Yard begrenzt.
Der Bürgersteig vor dem Beerdigungsinstitut war menschenleer. Vor dem Haus stand ein schwarzer Leichenwagen, der mit silbergrauen Palmwedeln verziert war.
»Los, gehen wir«, sagte ich zu Dick. »Ich habe das Gefühl, daß wir bereits beobachtet werden.«
Als ich die Klinke zum Ausstellungsraum niederdrückte, erklang ein Glockenspiel. Ich mußte mich erst an das Halbdunkel gewöhnen, ehe ich den dürren Mann sah, der uns mit einer tiefen Verbeugung entgegenkam.
»Was kann ich für Sie tun, Gentlemen?« fragte er mit einer Stimme, die einem Wanderprediger zu gehören schien.
»Wir möchten uns Ihr Sarglager ansehen«, sagte ich und hielt ihm zur Unterstreichung meines Wunsches den Haussuchungsbefehl unter die Nase.
Er reagierte wie erwartet mit einer blitzschnellen Bewegung zur Hüfte. Dick war schneller. Mit einem genau berechneten Schlag zum Kinn schickte er ihn für die Zeit auf die Bretter.
Es gab ein polterndes Geräusch, als der Dürre zusammenbrach.
Wir lauschten einen Augenblick, aber alles blieb still.
Dick ging auf eine breite Schiebetür zu, die den Raum nach hinten abschloß.
»Bleib stehen!« rief ich leise. Denn ich hatte die beiden optischen Augen entdeckt, die zwei Yard vor der Tür in Kandelabern eingebaut waren, die den Eingang flankierten.
»Dann werden wir das Ding nicht aufbekommen«, gab Dick ebenso leise zurück.
Ich kroch unter dem unsichtbaren Kontaktstrahl durch, der ein automatischer Öffnungsmechanismus, aber auch eine Warnanlage sein konnte. An der linken Fußleiste fand ich einen kaum sichtbaren Knopf.
Als ich darauf drückte, wichen die beiden Schiebetüren in die Wand zurück. Vor uns lag eine breite Treppe, die nach unten führte.
***
Das erste, was Phil wahrnahm, als er wieder zu sich kam, war die eisige Kälte. Wie ein Panzer umgab sie seinen Körper und machte ihn völlig gefühllos. Er öffnete die Augen, aber es änderte sich nichts. Die Finsternis blieb, undurchdringlich und ohne Konturen. Er war unsagbar müde. Sein einziger Wunsch war: schlafen. Aber irgendwo in seinem Gehirn signalisierte das Unterbewußtsein:
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