0490 - Höllen-See
konnte, schleiften ihre Füße über den Boden.
Ich blieb noch liegen, aber ich wußte mittlerweile, was die Kerle mit uns vorhatten. Sie wollten uns aus der Maschine werfen, das war an ihrer Haltung zu erkennen.
Der Pilot hatte die Geschwindigkeit gesenkt. Er ging mit der Maschine auch noch tiefer, hatte dann seine Höhe erreicht und behielt sie auch bei.
Die beiden anderen Kapuzenträger kümmerten sich um mich. Sie bückten sich und rissen mich in die Höhe. Da ich lange gelegen hatte, stieg mir durch die plötzliche Bewegung das Blut in den Kopf, und der Schwindel packte mich.
Für einen Moment hatte ich das Gefühl, in einem Kreisel zu stehen. Ich saugte tief die Luft ein und machte mir selbst Mut. Nur keine Schwäche zeigen, das würden die anderen sofort ausnutzen.
Auch mich drehte man so herum, daß ich nach draußen schauen konnte. Unendlich erschien mir das Meer. Eine wogende, graugrüne Fläche, wie Glas aussehend, das an einer Stelle aufgeschnitten war.
Genau dort, wo ich die Insel sehen konnte.
Sie war nicht sehr groß. Wenigstens kam sie mir aus dieser Höhe nicht so vor. Ein Flecken im Meer, aber mit einer wilden urwüchsigen Berglandschaft.
Hohe Felsen an den Ufern, die sich auch im Innern der Insel fortsetzten und dort zu kleinen, kantigen Bergen wurden, die sogar eine Schlucht bildeten.
Einen regelrechten Canyon.
Unsere Bewacher sprachen nicht. Sie ließen uns Zeit zur Beobachtung. Wir gerieten immer näher an die kleine Insel heran, und sie wurde allmählich größer.
Bäume sah ich keine. Wenn es grünte, dann waren es nur Gewächse, die auf den Steinen klebten und kaum Kniehöhe erreichten. Wir flogen auf direktem Kurs der Insel entgegen. Unter uns schäumten die Wellen. Sie wuchteten an das Ufer des Eilands, wo ebenfalls hohe Felskanten wuchsen und einen regelrechten Wall bildeten, der einen Bart aus Gischt bekommen hatte.
Chrysantheme drehte den Kopf und schaute mich an. »Siehst du, Bulle, das ist unser Paradies. Es wird uns schlucken, wir werden hineinsegeln und können nicht anders als schreien.« Dann wandte sie sich an die Maskierten. »He, wo ist denn euer großer Guru? Wo ist der verdammte Prophet?«
Sie bekam keine Antwort und gab sie sich selbst. »Ja, bestimmt auf der Insel. Er hält sich versteckt. Er ist feige, er ist ein linker Hund, ein feiges Schwein, er…«
»Sei ruhig, Mädchen!«
Sie gehorchte tatsächlich, atmete keuchend ein und flüsterte: »Verdammt, John, ich habe doch so eine Angst…«
»Ich auch.«
»Danke, daß du ehrlich bist.«
»Supermann bin ich nicht, denn ich kann nicht fliegen.«
Wir schwiegen, weil es jetzt interessanter wurde, als wir uns der Insel noch mehr genähert hatten.
Die Sicht war gut, und so verschafften wir uns erste Eindrücke.
Da war zum einen die Schlucht, dieser Canyon. Ich entdeckte auf seinem Grund, der doch breiter war, als ich angenommen hatte, eine bläulich schimmernde Fläche mit einem Stich ins Grüne. Sie war glatt, kam mir fast vor wie eine Straße oder eine Landepiste für Flugzeuge.
Darauf hielten wir zu.
Das wunderte mich ein wenig. Sollten wir tatsächlich zwischen den Felsen landen und nicht aus der Maschine gestoßen werden? Der Pilot flog langsamer und änderte den Kurs, als wollte er uns zunächst einmal die gesamte Insel zeigen, bevor er zur Sache kam.
Ich schaute mir das Gelände an. Es war bucklig, etwas felsig, glatte Stellen waren so gut wie kaum vorhanden, so daß es ein Risiko bedeutete, wenn der Mann landen wollte.
Da blieb eigentlich nur die glatte Fläche. Im Moment sahen wir sie nicht, dann überflogen wir einen Buckel und schwebten im nächsten Augenblick über ihr.
Ich schaute nach unten, Chrysantheme ebenfalls, und ihr Schrei zitterte durch den Hubschrauber.
»Das sind sie! Verdammt, John, das sind sie. Das sind die Verschwundenen! Da unten, die… die Gesichter…«
***
Die Maschine stand in der Luft. Wir hatten Zeit, uns das Bild einzuprägen.
War es ein See, ein stehendes Gewässer, oder bestand die »Füllung« der Schlucht aus glas oder einem ähnlichen Material? Eine Frage, die ich von hier oben nicht beantworten konnte. Aber das Mädchen hatte nicht gelogen.
Es gab die Gesichter!
Sie wirkten innerhalb der türkisfarbenen Fläche wie gezeichnet. Sehr real, dennoch perspektivisch verzerrt und wesentlich größer als ein normales Menschengesicht.
Augen, Nasen, Lippen, Münder, die weit aufgerissen waren und den Schrecken zeigten, den diese Toten in den letzten Sekunden ihres
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