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0490 - Höllen-See

0490 - Höllen-See

Titel: 0490 - Höllen-See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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unmöglich.
    Deshalb bewegte ich meine Hände so gut es ging, um einen Blutstau zu verhindern. Mit den Füßen tat ich das gleiche. Chrysantheme tat es mir nach. Sie hatte in den letzten Minuten den Mund gehalten.
    Am Stand der Sonne, die glücklicherweise hin und wieder aus den grauen Wolkenlöchern hervorkroch, konnte ich mich orientieren, in welche Richtung wir flogen.
    Wenn mich nicht alles täuschte, hatte wir einen Nordostkurs eingeschlagen, und der wurde auch strikt beibehalten. Die Kapuzenträger gingen tatsächlich ein Risiko ein. Sie nahmen die offizielle Route, und ihr Pilot besaß sogar Kontakt mit verschiedenen Flugleitstellen.
    Da wir gefesselt waren, schauten unsere Bewacher nur hin und wieder durch die Augenschlitze auf uns herab, taten aber nichts, um die Fesseln noch einmal zu kontrollieren.
    Chrysantheme sprach mich an. »Hör mal, Bulle.« Ihre Stimme klang jetzt zittrig. »Wie lange haben wir beide noch zu leben?«
    »Keine Ahnung. Bei mir hoffe ich noch auf dreißig bis vierzig muntere Jährchen.«
    »Verdammt, mach keine Witze.«
    »Ich meinte es ernst!«
    »Die machen uns doch fertig, Bulle.«
    »Warte es ab, Mädchen.«
    Wir lagen auf dem Rücken. Ich war gezwungen, nach oben zu schauen, und zählte die Schmutzflecken unter der Decke. Auch das Glas an den Seiten hätte eine Wäsche vertragen können.
    Die Höhe blieb gleich. Die Geräusche änderten sich auch nicht, und Chrysantheme sagte plötzlich.
    »Jetzt könnte ich einen Joint vertragen. So richtig durchziehen.«
    »Du hast Erfahrung?«
    Sie lachte kehlig. »Und wie, Bulle. Schon mit Fünfzehn. Wir haben in London gehockt und überlegt, wie wir die Nächte rumkriegten. Dann sind wir auf eine der Brücken gegangen. Harry ist gesprungen. LSD, weißt du. Er hatte zuviel davon. Er sprang, wollte ein Vogel sein. Das Wasser lockte, es war ein tiefer, schwarzer Vulkan, ein See, der fraß. Der Strom hat ihn nie wieder hergegeben.«
    »Und du, was hast du gemacht?«
    Ich hörte Geräusche, als würde sie glucksend lachen. Das tat sie sicherlich nicht. »Ich stand da, lehnte an einem Träger und heulte wie ein Schloßhund. Das war ein Elend. Und über all diesem Wahnsinn leuchteten die Lichter wie eine Tiara. Verstehst du, Bulle? Wie eine Tiara, aber Harry war weg.«
    »Was machten deine Freunde?«
    »Freunde?« Sie drehte den Kopf nach rechts, um mich anschauen zu können. Ich bewegte ihn nach links. Wir spürten beide den Atem des anderen im Gesicht. »Es waren keine Freunde. Sie sind verschwunden, haben mich allein gelassen. Ich stand da und glaubte, tot zu sein. Ich sah immer nur Harry. Irgendwann läuteten sogar die Glocken. Erst glaubte ich an eine Einbildung, bis ich erkannte, daß es schon Morgen war. Über London leuchtete schon die Sonne. Grell und blendend, für mich aber war sie schwarz wie das Wasser. Ich ging einfach weg, wohin, wußte ich auch nicht. Auf der Brücke haben sie mich noch erwischt.«
    »Wer?«
    »Die Hunde. Sie mußten einen Blick für meinen Zustand gehabt haben. Sie sprachen vom Propheten, von einer besseren Welt, von der Wahrheit und davon, daß man etwas für sie tun müßte, um sie zu erreichen, auch wenn es mit den überkommenden Moralvorstellungen nicht in Einklang zu bringen war. Ich blöde Gans habe es getan, aber nicht sofort, Bulle, das kannst du mir glauben.« Sie redete jetzt hektisch, weil die Erinnerung sie übermannte. »Erst später, viel später, und an die Nadel bin ich auch nicht gegangen. Nein, keinen Stoff, das habe ich mir seit Harrys Ende immer vorgenommen. Daran hielt ich mich. Später kamen sie dann mit den Wagen. Sex auf Rädern, da machte ich auch mit. Ich hatte erkannt, daß alles Mist war, nur fand ich nicht die Kraft, auszusteigen. Das geschah erst später. Nur erleide ich mit dir auch Schiffbruch. Wie mit Harry. Das ist wie ein Kreisel.«
    »Hat es dich nicht gewundert, daß die Typen ständig ihre Gesichter verbargen?«
    »Das haben sie doch nicht.«
    »Wieso?«
    »Erst viel später taten sie das. Vorher waren sie normal.«
    »Seit wann war das mit den Kapuzen bei ihnen der Fall?«
    »Das kann ich dir nicht mehr sagen. Wir hatten aber schon die Wagen bekommen.«
    »Und den Prophet hast du nie gesehen?«
    »Nein, niemals. Ich hörte ihn nur. Seine Stimme drang aus Lautsprechern. Wir haben auch Kassetten von seinen Reden erhalten, die wir uns beim Kundenfang anhören mußten. Er hat eine wunderbare Stimme. Einschmeichelnd, so gütig und dennoch befehlend. Wer ihn hört, der traut sich

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