0491 - Der Blutjäger
zögerte, einen Fuß über die Schwelle zu setzen, deshalb ging ich vor und trat in einen ziemlich düsteren Flur, in dem es typisch roch. Nach Feuchtigkeit, nach Erde und nach alter Kleidung, die an mehreren Haken hing. Sie waren in die Wand geschlagen worden.
Vor uns verbreitete sich der Flur, so daß Platz genug für drei Türen war.
Wir stießen die ersten beiden auf, sahen einen Wohnraum, auch ein Schlafzimmer. In beiden Räumen herrschte Durcheinander. Es fehlte eine Hand, die aufräumte.
»Franz?« Evas Ruf verklang, ohne daß sie eine Antwort bekommen hätte. Sie zuckte die Achseln und drehte sich um. »Das verstehe ich nicht. Wo kann er nur sein?«
»Vielleicht in einer Kneipe.«
Sie nickte. »Das wäre schon möglich, er trinkt gern ein Bier oder ein Viertele, aber ich glaube nicht so recht daran. Ich habe ihm extra gesagt, daß er nicht weggehen soll.«
Ich zeigte auf die dritte Tür. »Was liegt dahinter?«
»Da geht es zum Keller.«
»Schauen wir uns die Sache mal an.«
Sie erschrak. »Was wollen Sie denn dort, John?«
»Nachsehen, ob er sich nicht im Keller versteckt hält. Totengräber sind doch komische Typen.«
»Na ja, wenn Sie meinen, aber ich fürchte mich ein wenig davor.«
»Was ist dort unten?«
»Genau weiß ich es nicht. Aber man hat früher mal davon gesprochen, daß dort Särge stehen.«
»Das ist doch nicht schlimm.«
Eva senkte ihre Stimme. »Für Sie vielleicht nicht, John, weil Sie täglich damit zu tun haben. Ich denke darüber anders, verstehen Sie? Für mich sind Särge immer noch Dinge, die mich das Gruseln lehren. Schon als Kind habe ich mich vor ihrem Anblick gefürchtet.«
»Wir werden Sie uns trotzdem anschauen.«
»Da ist auch seine Werkstatt, wie ich hörte. Franz ist nicht nur Totengräber, auch Schreiner.«
»Wunderbar.«
Ich öffnete die Kellertür fand auch einen Lichtschalter und sah vor mir die Steintreppe. Sie war ziemlich breit. Wahrscheinlich deshalb, weil auch Särge hochtransportiert werden mußten.
Am Ende der Treppe begann ein großer Raum. Er diente gleichzeitig als Werkstätte und Lager.
Die Särge standen an der rechten Seite. Es waren nur drei. Zwei davon waren geschlossen, der dritte noch offen. An ihm fehlten noch die Griffe. Sie lagen auf der Werkbank, wo Hobel, Sägen, Schnitzmesser und Stemmeisen neben Zangen, Hämmern, Nägeln und Leimtöpfen ihren Platz hatten.
Breite Holzstücke lehnten hochkant an der Wand. Nur gab es keine Spur von Franz.
»Er ist ausgeflogen«, stellte Eva fest und nagte auf ihrer Unterlippe. »Vielleicht hat er es auch mit der Angst zu tun bekommen und ist geflüchtet. Was meinen Sie?«
»Das ist möglich.«
»Dann können wir ja wieder gehen.«
Ich hatte auch nichts dagegen und drehte mich schon um, als ich das Geräusch hörte.
Es war ein hartes, gleichzeitig schleifendes Kratzen, und es war aus einem der verschlossenen Särge gedrungen…
***
Eva Leitner stand ebenso stocksteif auf der Stelle wie ich. »Haben Sie das gehört?« hauchte sie.
»Ja.«
Die Frau streckte langsam ihren Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger auf den hellen Sarg. »Da war es!« hauchte sie. Ich sah, daß sie eine Gänsehaut bekam. »Und was machen wir jetzt?«
»Den Sarg öffnen.«
»Was? Sie wollen…«
»Natürlich.« Ich deutete auf die Tür. »Bleiben Sie mal lieber zurück, Eva.«
»Das werde ich auch.«
Ich näherte mich dem mysteriösen Sarg. Möglicherweise hatte die darinliegende Person mit den Fingernägeln das unheimliche Geräusch verursacht.
Als ich direkt neben dem Sarg stehenblieb, klang das Kratzen erneut auf.
Diesmal vernahm ich es lauter und sah es gleichzeitig als eine Aufforderung an, den Sarg zu öffnen.
Ich bückte mich und schaute mir die einfachen Verschlüsse an. Es würde ein Leichtes sein, sie zu öffnen. Sekunden später lag das hinter mir.
Ich schaute noch einmal nach rechts, wo Eva Leitner stand. Sie hatte sich an der Tür aufgebaut. Die Augen waren starr auf mich und die Totenkiste gerichtet. Auch mein spärliches Lächeln konnte ihre Furcht nicht vertreiben.
Mit einem Ruck zog ich den Deckel in die Höhe!
Gleichzeitig schnellte mir eine gekrümmte Hand entgegen, denn der im Sarg liegende Mann hatte wieder kratzen wollen. So bewegten sich seine krummen Finger mit der graubleichen Haut ins Leere.
Von der Tür erklang Evas Ruf auf. »Himmel!« keuchte sie. »Das ist er. Das ist Franz…«
***
So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht, legte den Deckel zur Seite und sah, wie
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