0491 - Der Blutjäger
beschreiben möchte.
Ich mußte schlucken, drehte mich um und verließ mit schleppenden Schritten den Kellerraum.
Eva Leitner wartete im Gang auf mich. Sie lehnte mit dem Rücken an der Wand, ihr Blick war ins Leere gerichtet. Dann flüsterte sie: »Ich habe es gehört. Ich habe ihn schreien gehört. Es war einfach schrecklich und grauenhaft.« Sie schloß für einen Moment die Augen, um sie im nächsten Augenblick wieder zu öffnen. »Gibt es ihn noch?«
»Ja«, sagte ich. »Aber gehen Sie nicht mehr in die Werkstatt. Sie verstehen?«
»Sicher.« Müde wischte sie über ihre Stirn. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Wir beide haben von dem Blutjäger gehört. Ihn werden wir stellen, meine Liebe.«
»Dazu müßten wir in die alte Höhle.«
Ich lächelte knapp. »Nicht wir, sondern ich. Sie, Eva, bleiben draußen.«
Sie schüttelte den Kopf. »John, ich glaube gern, daß Sie Mut haben, aber wissen Sie auch, was es bedeutet, die alte Höhle zu betreten?«
»Nein.«
»Das ist einfach zu gefährlich. Sie können abstürzen. Selbst für Höhlenforscher ist es ein Wagnis, dieses Gebiet zu betreten. Glauben Sie mir, ein besseres Versteck hätte sich der Blutjäger nicht aussuchen können.«
»Sie mögen recht haben, Eva. Da er jedoch fliegen kann, ist er uns im freien Gelände immer überlegen.«
»Die Höhle ist so groß, daß…«
»Aber begrenzt.«
»Stimmt. Nur - wie wollen Sie ihn töten? Und womit? Nehmen Sie vielleicht das Kreuz dazu?«
»Das ist eine Möglichkeit. Es ist sehr mächtig und hat mir schon unzählige Male geholfen. Ich frage mich nur, ob ich nahe genug an die Fledermaus herankomme, um es einsetzen zu können. Ich muß mich einfach als Lockmittel anbieten, sonst werden die Menschen hier auf der Alb ihr tödliches Wunder erleben.«
Eva Leitner schüttelte sich, als würde sie frieren. »Wenn es dann sein muß«, sagte sie.
»Gut. Wahrscheinlich gibt es in der Nähe Geschäfte, wo ich mir eine entsprechende Ausrüstung zulegen kann.«
»Ja, ich kenne so einen Laden. Er hat auch offen. Der Besitzer ist ein entfernter Verwandter von uns. Meine Güte, der wird Augen machen, wenn ich plötzlich vor ihm stehe.«
»Lassen Sie uns hingehen, Eva!«
Wir schritten die Treppe hoch und verließen den kleinen Anbau. Die Sonne sahen wir nicht mehr. In der kurzen Zeit hatte der Wind dichte, graue Wolken über den Himmel gefegt und spielte mit ihnen, als wären es Wollknäuel. Auch der Friedhof wurde nicht verschont. Der Wind schaufelte altes Laub hoch und warf es zwischen die Grabsteine.
Eva schaute zum Himmel. »Das sieht nach einem Wetterumschwung aus«, verkündete sie. »So etwas geht in dieser Gegend oft sehr schnell. Bevor man sich versieht, hat das Wetter gewechselt.«
Bei diesem Wetter wirkte der Friedhof mit seinen schiefen Grabsteinen noch unheimlicher. Ich dachte darüber nach, daß es den Totengräber erwischt hatte. Aber wer war noch in die Fänge dieser Riesenfledermaus geraten?
Sie hatten ihr den Namen Blutjäger gegeben. Es ließ auf die große Gier des Monstrums nach dem Lebenssaft der Menschen schließen. Es hatte sich bestimmt nicht mit dem Totengräber zufrieden gegeben. Ein wenig Furcht hatte ich schon, den Ort zu betreten, und Eva erging es ebenso, das sah ich ihr an.
»Was ist?« fragte ich und legte meinen Arm um ihre Schultern.
Sie drückte sich an mich. »Wissen Sie, wenn ich mir vorstelle, daß auch meine Familie davon getroffen wurde…«
»Ihre Schwester war es.«
»Ja.« Sie blieb stehen und schaute auf das frische Grab. Dort wehte der Wind die Schleifen der Kränze in die Höhe. »Aber jetzt ist sie erlöst. Franz hat sie gepfählt. Ich habe nicht zusehen können, wie auch bei Ihnen, John, aber ich hörte ihr Schreien. Es war furchtbar.«
»Kommen Sie.«
»Sollen wir nicht zuerst zu uns gehen?«
»Wie Sie meinen, Eva. Wen finde ich denn alles vor?«
»Ich habe noch Eltern und einen Großvater. Er hat das Haus damals gebaut. Das war weit vor dem Krieg, so alt ist es schon.«
»Und ihr Vater?«
»Er ist Rentner, schwerbehindert. Gearbeitet hat er in einem Autowerk als Lackierer. Der Job hat ihn kaputtgemacht.«
»Das kann ich mir denken.«
Wir hatten den Friedhof inzwischen verlassen und den Leihwagen erreicht. Auf dem Dach klebten einige Blätter und zahlreiche Blüten, die der Wind dorthin verschlagen hatte.
»Bevor wir zu Ihnen fahren, Eva, möchte ich mir doch die Ausrüstung besorgen.«
Sie hob die Schultern. »Das ist Ihr Problem, John. Sie kennen
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