0491 - Der Blutjäger
Dunkel des Verlieses verschwand.
Er rutschte dort über den Trümmerberg, wir hörten ihn für einige Sekunde winseln.
Eva stand neben mir. Sie hatte die Hände gegen die Ohren gepreßt. Diese Laute konnte sie einfach nicht mit anhören.
Sehr schnell verstummten die Geräusche. Ein Stein rollte noch über den Trümmerberg, dann war es still.
»Soll ich hingehen?« flüsterte Eva.
»Nein, aber du kannst, wenn es geht, den verfluchten Balken von meinen Beinen heben.«
Sie packte mit an, ich unterstützte sie durch Tritte, und gemeinsam schafften wir es. Mühsam stemmte ich mich hoch, um festzustellen, ob ich überhaupt stehen konnte. »Danke«, sagte ich. »Du bist zur rechten Zeit gekommen.«
»Hättest du es sonst nicht geschafft?«
»Wer weiß…«
Als ich mein Gewicht auf den linken Fuß verlagerte, spürte ich schon den Schmerz. Er flammte am Schienbein und an der Wade auf, behinderte mich aber nicht sonderlich.
»Ich werde nachschauen, was mit ihm geschehen ist. Bleiben Sie hier stehen, Eva.«
»Du kannst deine Retterin auch weiterhin duzen, John.«
Ich lächelte mit staubbedeckten Lippen. »Okay, einverstanden.« Über die Trümmer stieg ich hinweg wie ein Bergsteiger auf schwierigem Pfad. Der Vampir lag an der anderen Seite des Hügels, neben seiner Spitzhacke, die gegen mich nicht mehr zum Einsatz gekommen war.
Um besser sehen zu können, schaltete ich meine lichtstarke Bleistiftleuchte an.
Im Lichtkegel tanzten unzählige Staubkörner. Der ehemalige Vampir lag auf dem Rücken. Mit dem Kopf war er noch gegen die stehende, hintere Wand geschlagen. Sein Rücken bog sich über einen querliegenden Balken. In der Decke befanden sich Risse und ein Loch. Wenn es noch einmal diese Erschütterung gab, würde das gesamte Verlies einstürzen.
Vor mir lag ein normaler Toter. Nie mehr würde sich Emil Leitner erheben können. Er war von seinem unseligen Fluch erlöst worden. Ich ging den Weg wieder zurück.
Eva erwartete mich. »Hast du es geschafft?«
»Ja.«
»Und jetzt?«
»Gehen wir nach oben.«
Ich ließ sie vorlaufen. Beide zogen wir die Köpfe ein, als wir die Treppe hochgingen und uns durch die niedrige, lukenartige Tür quälten.
Das Ehepaar Leitner fanden wir in der Küche. Richard war verbunden worden. Sein Kopf schmückte ein weißer Turban aus Verbänden und Pflaster. Das Gesicht war fast so bleich wie der Verband.
Erika Leitner starrte uns aus verweinten Augen an. Sie saß wie eine Statue am Küchentisch und hatte die Hände gefaltet. »Ich habe einen Schuß gehört«, flüsterte sie uns zu. »Ist er… ist er…?«
Ich nickte. »Ja, er ist erlöst worden.«
»Sie haben ihn erschossen.«
»Es stimmt, aber ich mußte es tun. Er war ein Vampir. Jetzt hat er seinen Frieden. Sie können beruhigt sein. Er wird als Toter nicht mehr aufstehen, um Angst und Schrecken zu verbreiten.«
Erika Leitner saß noch einige Sekunden starr, dann senkte sie den Kopf und preßte die Hände vor ihr Gesicht. Sie weinte um ihren Schwiegervater.
So verstaubt wie ich war, zog ich mir einen Küchenstuhl heran und ließ mich darauf nieder.
Eva streichelte ihrer Mutter über das Haar, während Richard nichts sagte. Hin und wieder zuckten seine Lippen.
»Du solltest mit ihm zu einem Arzt fahren«, schlug ich Eva vor.
»Mal sehen. Erst müssen wir ihn stoppen.«
Auf meiner Stirn entstanden leichte Unmutsfalten. » Wir hast du gesagt? Nein, ich werde es tun.«
»Wieso? Du kennst den Weg nicht.«
»Den lasse ich mir schon erklären. Ich muß die alte Höhle finden, und ich werde sie finden.«
»Wann willst du dort sein?«
»Wenn es anfängt zu dämmern.«
»Dann bringe ich dich hin.«
Sie hatte es mit vollem Ernst gesagt. Diese junge Frau besaß einen harten Willen. »Wie soll es anschließend weitergehen?« erkundigte ich mich.
»Ich fahre wieder zurück.«
»Versprochen?«
Eva nickte.
Überzeugt war ich nicht. Ich hätte gern gewußt, was sich hinter ihrer Stirn abspielte. Bisher war der Fall relativ günstig verlaufen. Das konnte sich allerdings sehr schnell ändern.
»Möchtest du etwas trinken?« fragte sie.
»Mineralwasser, wenn es geht.«
»Gib mir einen Selbstgebrannten, Eva!« meldete sich ihr Vater. »Der hilft bestimmt.«
Es wunderte mich, daß er noch so sitzen konnte. Dieser Mann war hart im Nehmen. »Sie sollten sich hinlegen, Herr Leitner«, beschwor ich ihn. »Eva wird Ihnen bestimmt einen Arzt holen.«
»Nein!«
»Mein Vater ist und bleibt ein Dickkopf«, erklärte Eva. »Er
Weitere Kostenlose Bücher