0491 - Die Wolfshexe
geweckt hatte, sondern der Lärm, der von draußen kam. Da waren Stimmen, da schlugen Autotüren. Und Zamorra glaubte, durch die Klapplädenritzen einen flackernden blauen Schimmer zu sehen.
Er erhob sich und ging zum Fenster, um es zu öffnen und die Läden ein paar Zentimeter weit aufzuschieben. »Himmel, wir haben ja unser Frühstück verschlafen!« seufzte Nicole hinter ihm augenreibend. »Von acht bis neun, hat Hervé gelallt, und jetzt ist es schon elf. Warum hat uns eigentlich keiner geweckt?«
»Weil es hier keinen Weckservice gibt. Wir sind in der Bretagne bei Hervé und nicht in Paris im Ritz«, sagte Zamorra trocken und sah nach draußen. Unwillkürlich schob er die Läden ganz auf. Gut zwanzig Meter weiter mußte der Teufel los sein. Da standen zwei Peugeot 605 in Polizeifarbe mit flackernden Blaulichtern; das war das Aufblitzen, das Zamorra gesehen hatte. Da stand auch ein Citroên-Krankenwagen, und ein schwarzer Mercedes-Kombi mit Bestatter-Symbolen.
Ungeachtet des offenen Fensters tauchte Nicole neben Zamorra auf, schmiegte sich an ihn, Haut an Haut und verführerisch warm. »Was ist denn da los? Ist der da links nicht Hervé?«
»Sieht so aus«, erwiderte Zamorra. »Und wenn er gleich den Kopf dreht und beim Heraufschauen deinen hübschen Busen sieht, schmeißt er uns beide raus, weil wir als Unverheiratete gefälligst in zwei verschiedenen Zimmern zu schlafen haben.«
»Wir schlafen doch gar nicht!« protestierte Nicole, die trotzdem nicht daran dachte, sich etwas überzuziehen. Die kühle Vormittagsluft schien sie auch nicht weiter zu stören. »Polizei, Krankenwagen, Bestatter - das sieht nicht gerade nach dem normalen Herzversagen eines älteren Mitbürgers aus.«
Zamorra dachte an die Wölfe und den Tod von Yvette Manderon. »Das schaue ich mir mal aus der Nähe an«, murmelte er und schlüpfte hastig in frische Kleidung. Dreimal verknöpfte er sich, bis das Hemd endlich paßte, und dann stürmte er unrasiert und ungekämmt zur Tür; hing sich immerhin gerade noch das Amulett um den Hals.
Als er die Zimmertür aufzog und hinaus wollte, prallte er mit dem Mann zusammen, der gerade anklopfen wollte. »Nur langsam, mein Freund«, sagte der massige Mann im zerknautschten Fischgrätmuster-Anzug. »Ich denke, wir sollten uns erst einmal über ein paar Dinge unterhalten, Zamorra, ehe Sie die Flucht ergreifen.«
Er schob Zamorra zurück ins Zimmer. Nicole, immer noch nackt wie Eva vor dem Flirt mit der Schlange, war mit einem Sprung beim Kleiderbündel neben dem Bett, riß den Dynastie-Blaster hoch und richtete ihn auf den Eindringling. Es klickte hörbar, als sie die Waffe entsicherte und auf Betäubung umschaltete; letzteres konnte der Fremde allerdings nicht ahnen.
Er verharrte sofort.
»An Ihrer Stelle würde ich das nicht tun, Mademoiselle«, sagte er rauh. »Polizistenmord ist eine sehr, sehr üble Sache…«
***
»Dann dürfen wir sicher mal Ihren Dienstausweis sehen, Monsieur«, forderte Zamorra. »Anschließend hätte ich gern eine Erklärung für Ihr ungestümes Eindringen.«
»Es handelt sich wohl eher um ein ungestümes Ausbrechen Ihrerseits«, erwiderte der massige Fremde. Zamorra betrachtete den Dienstausweis. »Mordkommission Brest, Detektivsergeant Mikel ar Brazh«, las er. »Einen hübschen Namen haben Sie sich da ausgesucht, ar Brazh. Und was wollen Sie hier?«
Der Sergeant sah zu Nicole hinüber, die die Waffe jetzt wieder gesichert und aufs Bett gelegt hatte. Da ar Brazh sie ohnehin schon splitternackt gesehen hatte, nahm sie sich jetzt Zeit mit dem Ankleiden, wühlte umständlich im Gepäck und schlüpfte schließlich in ihren schwarzen Lederoverall, den »Kampf anzug«. Den Reißverschluß zog sie nur provisorisch bis in Nabelhöhe hoch. Eigentlich stand ihr eher der Sinn nach einer Dusche oder einem Bad, aber vermutlich wollte ar Brazh erst einmal Antworten auf viele Fragen.
Der massige Sergeant griff nach der seltsamen Waffe und betrachtete sie interessiert. Ein wenig kam sie ihm wie ein Spielzeug vor; solche Pistolen gab es in keinem Waffenladen zu kaufen. Aber für ein Spielzeug war sie wiederum zu schwer.
Nicole nahm sie ihm aus der Hand. »Darf ich vorführen?« fragte sie schnell, entsicherte den auf Betäubung geschalteten Blaster und gab einen Schuß auf die Wand ab -der natürlich keine Reaktion nach sich zog. Nur das blaßblaue Flirren zuckte aus dem Projektionsdorn in der leicht trichterförmig gearbeiteten Mündung, und ein schriller Laut
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