0491 - Die Wolfshexe
einer kleinen, handfesten Auseinandersetzung mit einem Wolfsrudel, das wir beide und Monsieur Cinan gestern abend hatten. Nicht hier, sondern bei Monsieur Plouders Blockhaus. Da muß auch noch ein toter Wolf herumliegen. Würde Ihnen der Kadaver als Beweis reichen?«
»Sicher«, grinste ar Brazh. »Aber ganz bestimmt, Zamorra. Zeigen Sie ihn mir doch. Dann kommen wir der Sache schon viel näher. Nein, mein Lieber, so einfach ist das alles nicht. Sie haben gestern mit Cinan zusammengesteckt. Er war in Brest im Krankenhaus, soviel haben wir herausgefunden, und ein Taxifahrer hat ihn heimgebracht.«
»Haben Sie auch herausgebracht, weshalb Cinan im Krankenhaus war?«
»Sicher. Er hat Bißwunden versorgen lassen. Ein großer Hund habe ihn überfallen, hat er dem Arzt gesagt.«
»Es war kein Hund, sondern ein Wolf.«
»Ja, es gibt Menschen, die glauben an die unwahrscheinlichsten Dinge«, sagte ar Brazh. »Die einen glauben an das Gute im Menschen, die anderen an Steuersenkungen, und wieder andere an Wölfe in der Bretagne. Könnte es nicht sein, daß Sie sich mit Cinan zerstritten haben, und ihn nach seiner Rückkehr aus Brest in seinem Haus aufsuchten und umbrachten, und zur Sicherheit seine Frau gleich mit, weil Sie keine Zeugin gebrauchen konnten?«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Wenn Sie Ihren zweifellos vorhandenen Verstand auch nur zu einem Teil benutzten, würden Sie begreifen, wie unsinnig das ist. Wir wären kaum dem Rettungswagen entgegengefahren, um Zeit zu sparen. Das können Sie nachprüfen.«
»Das weiß ich längst«, sagte ar Brazh. »Aber der Streit könnte ja entstanden sein, nachdem Cinan heimkehrte.«
»Und worüber hätten wir streiten sollen? Über das Gute im Menschen, Steuersenkungen oder Wölfe?«
Ar Brazh zuckte mit den Schultern.
»Das müssen Sie selbst wissen. Ihr Fluchtversuch eben war jedenfalls nicht sonderlich glücklich.«
»Fluchtversuch«, sagte Nicole verächtlich. »So ein Schwachsinn! Wären wir die Täter, hätten wir die ganze Nacht über Gelegenheit gehabt, uns abzusetzen. Aber wir haben dieses Haus nach Lokalschluß nicht mehr verlassen.«
Der Sergeant lächelte.
»Was Sie hoffentlich beweisen können.«
»Und Yvette Manderon haben wir natürlich der Einfachheit halber auch umgebracht, ja?« fragte Zamorra bissig. »Obgleich wir da nachweislich noch am anderen Ende der Republik waren.«
»Wir reden hier von der Familie Cinan und nicht von Mademoiselle Manderon.«
»Aber beide Male sieht’s nach Raubtieren aus. So haben Sie sich doch selbst ausgedrückt. Kommen Sie, wir zeigen Ihnen eines der Raubtiere, denen wir um ein Haar zum Opfer gefallen wären.«
»Mit äußerstem Vergnügen«, sagte ar Brazh. »Fahren wir doch mal hin. Aber vorsichtshalber in einem unserer Wagen.«
Zamorra und Nicole nahmen sich noch die Zeit, sich etwas ordentlicher herzurichten. Als sie Hervés Gasthaus verließen, wurden gegenüber gerade zwei Särge in den Leichenwagen getragen. Zwei Polizisten redeten leise auf ar Brazh ein, der zuhörte, Zamorra und Nicole dabei aber nicht aus den Augen ließ. »Eigenartig«, sagte Zamorra leise. »Er führt die Ermittlungen offenbar allein. Ohne Assistenten.«
»Personalmangel«, versuchte Nicole zu erklären. »Wir sind hier in der Bretagne, nicht in Paris, Lyon oder Marseille. Vielleicht ist Personalmangel das Zugeständnis für modernste Technik. Fax im Dienstwagen ist selbst für die Pariser Polizei noch ein Traum.«
Trotzdem wurde Zamorra das Gefühl nicht los, daß hier etwas oberfaul war. Nichts paßte zusammen!
Und dann suchten sie bei Plouders Blockhütte vergeblich nach dem Wolfskadaver.
Sie suchten aber auch vergeblich nach Yann-Daq Plouder!
***
Mireille Larchant wandte sich vom Fenster ab, als ihr Vater das kleine Wohnzimmer betrat. Kurz hob sie die Brauen. »Du bist früh dran«, stellte sie etwas verwundert fest. »Solltest du etwa deine Gewohnheiten ändern? Oder hat dich die morgendliche Fahrt nach Brest so sehr aus deinem Tag-Nacht-Rhythmus geworfen?«
Mathieu lächelte dünn. »Das habe ich wieder ausgeglichen. Keine Sorge, Miri. Ich bekomme genug Schlaf, und in dieser Nacht habe ich sogar ausgezeichnet geschlafen. Ich hoffe, daß auch du deine Ruhe gefunden hast.«
»Ich hatte einen Traum«, sagte sie. »Seit der meneur des loups wieder in der Nähe ist, träume ich immer öfter und intensiver von ihm und den Wölfen, und in dieser Nacht sah ich Blut, Vater.« Sie warf wieder einen Blick nach draußen.
»Was ist da
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