0493 - Janes Umkehr
»Du… du hast ihn doch geschrieben - oder?«
Da Edwina Jane Collins anschaute, war diese nicht in der Lage zu widersprechen. »Ja, ich habe ihn geschrieben. So wie ich es in meinen Träumen erlebt habe.«
»Das ist sehr gut.« Sie ging in den Raum, blieb aber stehen. »Gib ihn mir.«
»Weshalb?«
»Weil ich ihn abschicken will.«
»Das kann ich doch machen.«
»Mein Engel!« Edwina schüttelte den Kopf. Unter dem Tuch fielen blaßgraue Haarsträhnen hervor.
»Was du machen kannst und was nicht, das bestimmen wir. Du weißt, das wir jetzt deine Führung übernommen haben. Wir sind dabei, dich zurückzuholen, und wir haben dafür gesorgt, daß er schon auf dich wartet.«
Jane schluckte. »Er?«
»Sicher, der Meister, der Hexenmeister!« Edwinas Stimme nahm an Schärfe zu. »Den Brief her!«
»Ja, ich gebe ihn dir!«
Jane drückte sich an ihrer Besucherin vorbei und öffnete eine der Schubladen in einem Regal. Es war die dritte von oben. Dort bewahrte sie einige private Dinge auf, unter anderem auch einen etwas größeren braungelben Umschlag, den ihr Edwina fast aus der Hand riß, so sehr war sie dahinter her.
Jane schaute ihr nur zu. Sie griff auch nicht ein, als Edwina den Brief unter ihrer Kleidung verschwinden ließ. »Ich weiß ja, was darin steht«, sagte sie leise.
»Woher?«
»Vielleicht habe ich ihn dir sogar diktiert, ohne daß du etwas bewußt davon gemerkt hast.«
Jane gab keine Antwort. Sie nahm alles so hin, wie es war. Was sollte sie auch noch dagegen tun?
Sie befand sich in einer höllischen Klemme.
Edwina war zufrieden. »Ich gehe jetzt«, erklärte sie. »Was du zu tun hast, weißt du?«
»Ja, ich werde dir folgen.«
»Wie ist es mit der alten Frau?«
»Sie… sie wird mich nicht daran hindern können.«
Edwina lächelte Jane an und fuhr mit ihren Fingerspitzen über Janes Wangen. »Und keine Dummheiten, Kleine.«
Die Detektivin blieb stehen, ohne sich zu rühren. Beim Streicheln der Hand hatte sie das Gefühl gehabt, von rauhem Leder berührt worden zu sein.
Edwina ging. Sie drehte sich nicht ein einziges Mal mehr um. Sonst hätte sie die Tränen erkannt, die aus Janes Augen rannen und an den Wangen entlangliefen.
Sie dachte an den Empfänger des Briefes. Es war eine Person, die ihr damals vor der schrecklichen Zeit viel bedeutet hatte und jetzt auch wieder.
Ein Mann namens John Sinclair!
***
Ich starrte auf die Puppe und konnte einfach nicht daran glauben, daß es ein Scherz sein sollte. Dieses mir unbekannte Weib hatte mich nur auf die Plattform gelockt, um mir dies zu zeigen.
»Du kennst sie, nicht?«
Ich hob den Blick und starrte wieder in das verkniffen wirkende Gesicht. »Ja, sie ist mir bekannt. Sogar sehr gut!«
»Ich weiß.«
»Weshalb hast du sie mitgebracht?«
»Es soll ein Zeichen für dich sein, Sinclair. Ein Zeichen von deinen Gegnern.«
»Nein, von dir.«
»Ich gehöre dazu. Ich werde mich von dieser Welt verabschieden, aber ich will denjenigen, die mich übergangen haben bei ihren Plänen, noch einen Streich spielen.«
»Was hat das mit Jane Collins zu tun? Geht es wieder um sie? Weshalb hast du eine fast zerstörte Puppe mitgebracht? Ich will eine Antwort haben, verdammt.«
»Es geht um sie.« Mit einer widerlich anmutenden Bewegung wies die Frau auf ihr Mitbringsel.
»Um die Puppe oder um Jane Collins?«
»Beide sind mit von der Partie. Erst durch die Puppe ist es gelungen, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Voodoo und Hexenkraft, das ist etwas Besonderes. Die Puppe hat ihr die bösen Träume geschickt, die sich auch bewahrheiten werden. Es gibt kein Entrinnen mehr für sie. Damit du nicht so überrascht wirst, habe ich sie dir gezeigt. Das ist alles.«
Ich bückte mich und hob die Puppe auf. Sie war sehr leicht, wahrscheinlich bestand sie aus Horn.
Man hatte sie zerkratzt, eingedrückt, sie war auch durch Stiche gezeichnet, und das nachgebildete Gesicht der Jane Collins wirkte fremd.
»Sie brachte deiner Freundin die Träume!« flüsterte die Hexe. »Die bösen Träume. Sie sind wichtig, weil die anderen es so wollen. Sie können nicht zulassen, daß jemand abtrünnig wird. Verstehst du?«
»Ja, kann sein. Sie wollen Jane also wieder zurückholen, oder irre ich mich da?«
»Nein, du irrst dich nicht.«
Ich blieb gelassen, obwohl ich innerlich immer aufgedrehter wurde. »Was kann man dagegen tun?«
»Gar nichts«, erklärte mir die Hexe. »Wäre ich nicht gekommen, hättest du nichts bemerkt.«
»Du kennst dich gut aus«, sagte ich nickend.
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